2019 ist das Jahr der Jahrestage. Um nur einige der wichtigsten Ereignisse zu nennen:
- 1919 formierte sich die Bewegung des 4. Mai, Wegbereiter für das China von heute
- 1949 wurde im Oktober die Volksrepublik unter Mao Zedong gegründet
- 1959 wurde Tibet im März „befreit“
- 1989 kam es im Juni zu dem „Zwischenfall“ auf dem Platz des Himmlischen Friedens
- 2009 kam es im Juli zu heftigen Ausschreitungen in der Unruheprovinz Xinjiang
Und auch das alltägliche bietet genügend Entwicklungen, bei der die eine oder andere ihren Ausgangpunkt in diesem Jahr hat und in Zukunft als erinnerungswürdig in Erinnerung bleiben könnte. Das schwächste Wirtschaftswachstum seit 30 Jahren beispielsweise. Viel Spass beim Lesen!
Nationaler Volkskongress in Peking
Vom 05.03. – 15.03. fand der Nationale Volkskongress in Chinas Hauptstadt Peking statt. In der Großen Halle des Volkes hielt der im Vergleich zu Präsident Xi Jinping als vergleichsweise liberal geltende Vizepremier Li Keqiang vor den knapp 3000 Abgeordneten eine pragmatische Rede.
Neben der Bekanntgabe eines „historisch“ niedrigen Wachstumsziels von 6 bis 6,5 Prozent für 2019 wurde eine Vielzahl von Problemen direkt angesprochen sowie konjunkturfördernde Maßnahmen verkündet:
- Die Verschuldung soll begrenzt werden (Anstieg von nur 0,2%, entspricht 2,8% des BIP)
- Steuererleichterungen und weniger Bürokratie für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU)
- Reform der Mehrwertsteuer und leichtere Kreditvergabe für KMUs
- Öffnung weiterer Sektoren für ausländische Unternehmen (z.B. Finanzsektor, Versicherungen)
Li nannte in seiner Rede auch den Grund für das schwächere Wachstum: Die US-Regierung unter Donald Trump. Die mit dem Handelsstreit verbundenen Strafzölle auf viele chinesische Importe seien eine Belastung für die heimische Wirtschaft.
Das nächste Gipfeltreffen im Handelsstreit ist für den 27. März geplant. In Mar-a-Lago, Florida, wollen „Tariff Guy“ Trump und „Der Kern“ Xi eine Einigung finden, bei der beide Seiten ihr Gesicht wahren können.
Mehr dazu:
NZZ: Harte Zeiten für die Volksrepublik
TAZ: Zur Krisenstimmung auf dem Volkskongress
HB: Brookings-Studie zu Chinas BIP
WELT: Geld und Macht im Volkskongress
WIWO: Schwaches Wachstum, mehr Militärausgaben
SPON: Little China
WIWO (€): Konjunkturbelebende Maßnahmen der Regierung
Auf der Suche nach einer gemeinsamen China-Strategie für Europa
Deutschland und Frankreich preschen gemeinsam voran und wollen eine gemeinsame China-Strategie innerhalb der EU. Ende März wird das Thema China im Europäischen Rat besprochen werden, auch über Huawei und den kommenden Mobilfunkstandard 5G will man beraten, wie über eine Reform des EU-Wettbewerbsrechts.
Ein „Investment Screening“ für Nicht-EU Länder hat das EU-Parlament jüngst bewilligt. Dies soll Übernahmen in bestimmten Bereichen erschweren. Europa ist auf der Suche nach einer gemeinsamen Industriepolitik.
Der ehemalige Chef der EU-Kommission Manuel Barroso äußerte sich jüngst in einem Interview mit der Süddeutschen zum EU-Wettbewerbsrecht:
„Wir müssen dafür sorgen, dass wir unsere Interessen in Europa besser verteidigen. Wir brauchen faire Voraussetzungen und sollten nicht naiv sein.“
China hat bereits viele Investitionsabkommen mit europäischen Staaten geschlossen
Womit er nicht Unrecht hat, denn China betreibt weiter munter die eigene Interesssenpolitik in Europa, schliesst ein bilaterales Abkommen nach dem anderen und sichert sich so seinen wirtschafltichen wie politischen Einfluss mitten in der EU.
Griechenland, Portugal, Ungarn, Serbien – und jetzt Italien. Ungeachtet des Tadels aus Brüssel will die Regierung in Rom auf den Zug des Seidenstrassenprojekts aufspringen und erhofft sich dadurch vor allem eine gewaltige Finanzspritze für den hochverschuldeten Staatshaushalt. (siehe auch #3, #19).
Nach dem offiziellen Regierungsbesuch der Italiener in Peking vor ein paar Monaten steht für den 21. – 23. März ein Kurzbesuch Xis in der ewigen Stadt bevor (siehe auch #18).
Während der deutschen EU-Ratspräsidenschaft 2020 ist erstmals ein Treffen mit Präsident Xi und den 27 Regierungschefs der Mitgliedsstaaten geplant mit dem Ziel, diese Form der Zusammenkunft langfristig auf EU-Ebene zu etablieren.
Kommentar:
Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Und wenn die (derzeit) 28 Mitgliedstaaten der EU dies tun, dann besteht für den lachenden Dritten umso mehr Grund zur Freude.
Zum einen ist es der Mangel an einer gemeinsamen Strategie auf europäischer Ebene, zum anderen liegt es in Chinas Interesse, gezielt bilaterale Abkommen abzuschließen. Entweder direkt mit den einzelnen Mitgliedsstaaten, oder auch mit einer Gruppe osteuropäischer Staaten im Rahmen des jährlich stattfindenden 16+1 Gipfels. China nutzt die Zerstrittenheit unter den Europäern geschickt und in aller Ruhe aus. Die Reaktion der EU kommt spät und zeigt aber auch, dass die Welt im 21. Jahrhundert mit der Rückkehr des Staates als Lenker der Wirtschaft wieder eine Nuance chinesischer wird.
Mehr dazu:
SZ: Xi in Italien
SPON: Di Maios Flirt in Fernost
FAZ: Italien unterzeichnet Absichtserklärung
HB: Vom Partner zum Rivalen
SZ: Wo Europa den Anschluss verloren hat
HB: Kommentar zur EU-Geopolitik
SZ: Wie die Sojabohne für einen veränderten Weltmarkt steht
ZEIT: Kommentar zur EU-Industriepolitik
SZ: Interview zu turbulenten internationalen Beziehungen
DRADIO: Kampf der Systeme
Neues von Huawei
Huawei stellt faltbares Smartphone vor
Der Mobile World Congress (MWC) in Barcelona ist die Leitmesse der Telekommunikationsindustrie und ein anschauliches Beispiel dafür, wo Investitionen in Fortschritt und Entwicklung zu Innovationen führen. Huawei präsentierte auf dem MWC ein 5G-fähiges faltbares Smartphone und inzwischen kommen bereits drei der fünf größten Mobilfunkhersteller aus China (Huawei, Xiaomi, ZTE), berichtete die NZZ Anfang März.
Cyber-Zentrum in Brüssel eröffnet
Apropos Huawei. Nach London und Bonn eröffnet der Konzern ein Cyber-Zentrum in Brüssel. Die Eröffnungsfeier fand unter den Schlagwörtern „Offenheit, Transparenz, Zusammenarbeit“ statt. Mit der Präsenz soll verlorengegangenes Vertrauen zurück gewonnen und ein Ausschluss beim Aufbau des 5G-Netzes verhindert werden. Hierzulande findet die Versteigerung der Lizenzen durch die Bundesnetzagentur voraussichtlich am 19. März statt. Mitbieten werden die vier Netzbetreiber Telefónica O², Vodafone, Telekom und 1&1, berichten Handelsblatt und FAZ.
Huawei verklagt US-Regierung
Der Streit zwischen den USA und der Firma mit Sitz im südchinesischen Shenzhen geht in die nächste Runde. Nach der Verhaftung der Tochter des Firmengründers Ren Zhengfei in Kanada und US-Anklageschriften gegen das Unternehmen geht Huawei jetzt in die Offensive und erhebt seinerseits in Texas, dem US-Sitz des Unternehmens, Klage gegen die Vereinigten Staaten.
Der im August 2018 verabschiedete National Defense Authorization Act, und das damit verbundene Verbot zum Einsatz von Huawei-Technologie in Regierungsbehörden und bei deren Zulieferern, sei verfassungswidrig, so die Anklage. Das Handelsblatt bezeichnet das Vorgehen treffend als Klage-Pingpong.
Wiederum sei hier Huawei der einzige Akteur, der eine gute Figur mache, kommentiert die NZZ, äußert Zweifel am Rechtsstaatsverständnis des US-Präsidenten und verweist dabei auf einen wichtigen Bestandteil jedes Rechtsstaates: Die Unschuldsvermutung. Denn nach wie vor fehlen handfeste Beweise für die Seitens der US-Regierung erhoben Spionagevorwürfe gegenüber Huawei.
An der deutschen Strategie im Umgang mit Huawei wird derweil noch gearbeitet. Klar ist: Die Sicherheitsanforderungen für Telekommunikationsunternehmen sollen verschärft werden. Erste Eckpunkte wurden jetzt veröffentlicht, berichtet die FAZ.
Mehr dazu:
WELT: Huawei schlägt zurück
ZEIT: Kommentar zur „Gelben Gefahr“
HB: Huawei bleibt – vorerst (€)
Sehens-/Lesens-/Hörenswertes
NZZ: China und Pakistan
DRADIO: 60 Jahre Exil – Die Flucht des Dalai Lama
NZZ: Hahn zu Chinas Einfluss auf dem Balkan
ZDF: Maybrit Illner – Zwischen Trump und China
DRADIO: Sozialpunktesystem und Überwachung
ARD: Deutscher Wein-Sommelier in China
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