#106 六四 – 34. Jahrestag der Niederschlagung der Proteste auf dem Tiananmen

„Säule der Schande“ 4. Juni 1989 Tiananmen-Gedenken
Skulptur, "Pillar of Shame" von Jens Galschiøt, 1996. Bis 2021 in Hongkong, aktuell in der Axel-Springer-Straße 65, Berlin-Kreuzberg, Deutschland.

Rechtsstaatlichkeit nach chinesischen Maßstäben bedeutet, dass sie sagen, dass das, was sie tun, legal ist, und dass die Behauptung, dass es legal ist, es auch legal macht.

Bao Tong, ehemaliger politischer Berater des gestürzten Ministerpräsidenten Zhao Ziyang, rfa, 2017.

8964 六四 – 34. Jahrestag der Niederschlagung auf dem Tiananmen

Auf Order des Pekinger Politbüros um Deng Xiaoping beendeten Einheiten der Volksbefreiungsarmee am 4. Juni 1989 die wochenlangen Studentenproteste in der Hauptstadt und anderen chinesischen Großstädten.

Seitdem ist das Thema in der Volksrepublik mit ihrer vermeintlich „ganzheitlichen Demokratie“ ein Tabu. Wer dieser Tabu bricht, muss mit harten Strafen rechnen.

Rückblick: Sinoskop’sche Empfehlungen (KW22/#48) vom 4. Juni 2021

Was vor 32 Jahren in China geschah, fand [während den Pressekonferenzen des chinesischen Außenministeriums] keinerlei Erwähnung. Dafür lieferte die Global Times die offizielle Losung für den historischen Umgang mit dem “Vorfall” auf dem Tiananmen-Platz.

Tweet der Global Times vom 4. Juni 2021:

„Der Platz des Himmlischen Friedens verkörpert das Vertrauen des chinesischen Volkes in Chinas Politik. Das Verständnis der chinesischen Öffentlichkeit für die Ereignisse des 4. Juni hat sich grundlegend verändert: Wir lachen über die von außen inszenierten ‚Gedenkveranstaltungen‘.

Wenn der Vorfall vor 32 Jahren irgendeine postive Wirkung hat, dann die, dass er das chinesische Volk mit einem politischen Impfstoff geimpft hat, der uns hilft, eine Immunität zu erlangen, damit wir nicht ernsthaft in die Irre geführt werden.“

Auf dem chinesischen Festland findet also auch 2023 weder in den Medien noch hinter der „großen Firewall“ des Intranets kein Gedenken, kein Diskurs und keine öffentliche Aufarbeitung statt. Alles rund um den sogenannten „Vorfall“, samt naheliegender wie angelehnter Schlüsselwörter, fällt unter die Zensur und taucht auch in keinem Lehrplan auf. Die junge, nach 1990 geborene Generation von Chinesen weiß oft nichts mehr von den Ereignissen, die letztlich zur Niederschlagung der friedlichen Proteste führten. Das staatlich verordnete Vergessen ist erfolgreich.

Außerhalb des Landes beruft sich am Tag vor dem diesjährigen Tiananmen-Jahrestag Lu Shaye, Chinas Botschafter in Frankreich, auf sein Recht auf Meinungsfreiheit in öffentlichen Debatten. Man dürfe seine im Fernsehen ausgedrückte Meinung nicht kritisieren, fordert der mehrmals für seine Aussagen kritisierte Diplomat laut Parteiorgan Global Times.

Diese Doppelstandards, einerseits Rede- und Meinungsfreiheit im Ausland einzufordern, diese andererseits der eigenen Bevölkerung jedoch vorzuenthalten, dies sind in der Logik der KP vereinbare Widersprüche.

Gedenken an den 4. Juni 1989 in Hongkong

In Hongkong versammelten sich bis 2020 jährlich Zigtausende im Victoria Park, um den Opfern des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens zu gedenken. Seit der Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes ist das Gedenken auch in Hongkong verboten.

#81 Wahlreform: „Patrioten regieren Hongkong“ 爱国者治港

Um den 4. Juni 2023 herum ist die Polizeipräsenz an „kritischen“ Orten Hongkongs massiv verstärkt worden. „Verdächtige“ aller Altersklassen werden kontrolliert, es kam vereinzelt zu Verhaftungen. Protest wird, wenn überhaupt noch, wortlos durch Schlüsselanhänger mit Botschaften oder Symbolen ausgedrückt. Das per Gesetz geschaffene Klima der Angst hat Proteste aus der Zivilgesellschaft nahezu komplett verstummen lassen.

Hong Kong police deploy en masse, activists apprehended as Tiananmen crackdown commemorations muted

Gedenken an den 4. Juni 1989 in Taiwan

Offen und frei von staatlichen Repressionen wird in Taipeh auch dieses Jahr wieder mit öffentlichen Veranstaltungen an die Niederschlagung auf dem Tiananmen-Platz vor 34 Jahren erinnert.

CNN-Livestream der Veranstaltung in Taipeh

Der Mainland Affairs Council, Taiwans Rat für Festland-Angelegenheiten, veröffentlichte warf den Machthabern in Peking in einer Stellungnahme vor, immer noch nicht in der Lage zu sein, sich der „historischen Vergangenheit” in Bezug auf das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens zu stellen. Die Volksrepublik müsse sich den “historischen Fehlern” stellen, alle Aufzeichnungen über den Vorfall veröffentlichen und Reformen zum Schutz der Rechte auf Meinungs-, Religions- und Versammlungsfreiheit durchführen.

Gedenken an den 4. Juni 1989 in Berlin

Von 1997 bis 2021 stand die „Säule der Schande“ des dänischen Künstler Jens Galschiøt in Hongkong und erinnerte an das Massaker auf dem Tiananmen-Platz im Juni 1989. Dann kam das Nationale Sicherheitsgesetz und das Mahnmal musste weichen. Die Axel Springer Freedom Foundation hat in Berlin eine Nachbildung der „Pillar of Shame“ aufgestellt.

Aus Die Woche im Sinoskop (KW22/23)

Die Stellungnahme der chinesischen Botschaft in Berlin zur „Problematik“ ist zum einen ein Lehrstück des „Whataboutismus“. Kritik perlt in der KP-Logik einfach ab und wird gespiegelt. Zum anderen ist der Text ein weiteres Beispiel für die Neuinterpretation und Vereinnahmung von Begriffen wie „Freiheit“, „Demokratie“ und „Menschenrechte“ in der von Peking angestrebten „multipolaren Weltordnung“. Nicht zuletzt schimmert stets die Betonung einer vermeintlichen Überlegenheit der chinesischen Kultur durch und der Anspruch der Partei, diese als einzige legitime Kraft zu verkörpern.

„Die Axel Springer Freedom Foundation und Medien der Axel-Springer-Gruppe] instrumentalisieren eine Reihe von Fällen in bezug auf Hongkong, Xinjiang, Tibet sowie die Taiwan-Frage, um China für vermeintliche Menschenrechtsverletzungen böswillig anzugreifen und Chinas Ansehen zu beschädigen. China lehnt dieses Vorgehen entschieden ab und verurteilt es aufs Schärfste. […]

Erstens war es die Kommunistische Partei Chinas, die einst das chinesische Volk im Jahr 1949 dabei anführte, dem damals herrschenden halbkolonialen und halbfeudalen System ein Ende zu setzen. Die KP Chinas verhalf den Chinesen zu nationaler Unabhängigkeit und ebnete damit für die Menschen den Weg zur Freiheit. In den vergangenen sieben Jahrzehnten […] gelang es erstmals, die absolute Armut zu beseitigen – ein Novum in der mehrtausendjährigen Geschichte unseres Landes. Parallel dazu haben wir die weltweit größten Systeme für Bildung, Sozialabsicherung, Gesundheitswesen und Basisdemokratie aufgebaut. Der entschlossene Umgang der chinesischen Regierung mit den politischen Unruhen der ausgehenden 1980er Jahre sorgte für Stabilität und Entwicklung in China, was die notwendige Basis für einen beispiellosen Schutz der Menschenrechte unserer Bevölkerung in den folgenden Jahren stellte. Die Erfolge dessen sind heute für alle sichtbar. […]“

Quelle: Webseite Botschaft der Volksrepublik China in Deutschland

Die „Säule der Schande“ steht noch bis zum 22. Juni in Berlin und wandert dann weiter zum nächsten Ausstellungsort.

Mehr zum Thema 8964 六四 Tiananmen

#62 Gedenken an die Opfer von Tiananmen 1989

WELT: Das Gewissen einer Nation, die unter staatlich verordneter Amnesie litt

Kommentar des Aktivisten Samuel Chu, der eine sehr persönliche Beziehungen zur „Pillar of Shame“ hat.

RFA: Interview: Deng Xiaoping’s June 4, 1989 Massacre Ushered in a Corrupt China


Beitragsbild: OTFW, Berlin, CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons


 

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