#81 Wahlreform: „Patrioten regieren Hongkong“ 爱国者治港

Patrioten regieren Hongkong
Offizielles Poster zur "Verbesserung des Wahlsystems"

Today it has become evident more than ever that the “mutual destruction” activists have proven themselves to be saboteurs of Hong Kong’s prosperity and stability, be they on the streets, in the legislature or district councils. Of course they cannot be classified as patriots.

Heute zeigt sich mehr denn je, dass die Aktivisten der “gegenseitigen Zerstörung” sich als Saboteure von Hongkongs Wohlstand und Stabilität erwiesen haben; sei es auf der Straße, in der Legislative oder in den Bezirksräten. Natürlich können sie nicht als Patrioten eingestuft werden.

Xia Baolong, Leiter des Büros für Hongkong- und Macao-Angelegenheiten des Staatsrats, 22.02.2021.


Inhalt

“Patrioten regieren Hongkong“ 

Nationales Sicherheitsgesetz für Hongkong

Verbesserung des Wahlsystems

“Patrioten regieren Hongkong“ 爱国者治港

Die Parteiformel “Patrioten regieren Hongkong” ist neun Monate nach Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes und dank einer “Verbesserung des Wahlsystems” beschlossene Sache. In der Rhetorik der Kommunistischen Partei Chinas, und angeblich ganz im Geiste von Deng Xiaopings “Ein Land, Zwei Systeme”, handelt es sich um eine gelungene “Reform” und die weitere “demokratische Entwicklung” der Sonderverwaltungszone.

Für Millionen Hongkonger und zahlreiche kritische Stimmen im Ausland sprechen die Entwicklungen der letzten neun Monate eine andere, eher gegenteilige Sprache. Statt einer demokratischen Entwicklung wird die Wahlreform als letzter Sargnagel für die Demokratiebewegung angesehen.

Und die Frage, was zukünftig vom ursprünglich bis 2047 garantierten “hohem Maß an Autonomie” bleibt, ist angesichts der jüngsten Vergangenheit nur noch eine rein rhetorische. Schließlich bezeichnen Vertreter Pekings die gemeinsame Vereinbarung zwischen dem Vereinigten Königreich und der Volksrepublik von 1984, einen Vertrag nach internationalem Recht, inzwischen als rein „historisches Dokument“.

Siehe auch zu Hongkong:

#35 Im Sinoskop: Proteste in Hongkong

#57 Hongkong: Demokratie unter Druck

Ein Blick auf die geschichtsträchtigen Ereignisse der letzten Monate, von der Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes im Juni 2020 zur “Verbesserung” des Wahlsystems im März 2021.

Juni 2020 – Nationales Sicherheitsgesetz für Hongkong 香港国安法

Am 15. April findet in Hongkong der „National Security Education Day“ statt. Bereits seit 2015 wird an diesem Tag feierlich vermittelt, wie wichtig und richtig das Nationale Sicherheitsgesetz ist. Für Wohlstand, Frieden, und die Zukunft Hongkongs.

Im Jahr 2021 erfährt dieser Tag eine neue Bedeutung. Nach langjährigem Widerstand ist das Nationale Sicherheitsgesetz für Hongkong seit dem 30.06.2020 in Kraft.

Auf einer im vergangenen Jahr eingerichteten Themen-Webseite der Regierung finden sich unter anderem Erklärungen, wie das „umfassende“ Nationale Sicherheitsgesetz in Hongkong Anwendung findet und „Schlupflöcher“ schliesst. Die Rede ist von „zunehmend ausgeprägten“ Risiken für die nationale Sicherheit. Die Einführung dieses “wichtigen und dringenden” Gesetzes verspricht den Einwohnern der Sonderverwaltungszone Sicherheit, Wohlstand und Stabilität. Nicht weniger als ein “besseres Leben als jemals zuvor” in allen Lebensbereichen:

(Bild: nsed.gov.hk)

Die Einführung des Gesetzes läutete eine politische Zeitenwende für die Sonderverwaltungszone ein.

Seither stehen Anhänger der Demokratiebewegung, Oppositionelle, politische Vertreter, Aktivisten und kritische Stimmen unter massivem Druck. Auf Basis des Gesetzes werden sie eingeschüchtert, angeklagt, inhaftiert oder flüchten aus ihrer Heimat.

Laut Medienberichten sind innerhalb der vergangenen neun Monate etwa 100 Personen angeklagt, verhaftet oder zu Gefängnisstrafen verurteilt worden. Zu den bekanntesten unter ihnen zählen der Aktivist Joshua Wong (seit Dezember 2020 in Haft/13,5 Monate), die Juristen Benny Tai und Martin Lee, der “Vater der Hongkonger Demokratie”, sowie der Medienunternehmer und Milliardär Jimmy Lai (ihnen drohen mehrjährige Haftstrafen).

Die Aktivitäten der Angeklagten werden allesamt als “staatsgefährdend” oder als “Untergrabung der Staatsgewalt” eingestuft: Subversion, Separatismus, Terrorismus oder als Verschwörung mit ausländischen Kräften.

#45 Der talentierte Herr Wong und seine Mitstreitenden aus Hongkong

Der Niedergang der Demokratiebewegung

Mitte 2019 begannen die letzten Massenproteste auf den Strassen Hongkongs gegen den wachsenden Einfluss Pekings. Mehr als eineinhalb Millionen Menschen nahmen an den Anfangs friedlichen Demonstrationen teil. Siehe auch:

#41 Proteste: Ausnahmezustand in Hongkong

#42 Im Sinoskop: Ausnahmezustand in Hongkong (II)

Regierungschefin Carrie Lam sah sich sowohl dem Druck der eigenen Bevölkerung sowie dem der Parteiführung in Peking ausgesetzt. Eine Maßnahme war das Verschieben der ursprünglich für September 2020 angesetzte Wahl des Stadtparlaments LegCo. Zuerst sollte die Wahl genau 12 Monate später stattfinden. Begründet wurde die Entscheidung mit der Coronapandemie.

Ein ebenso triftiger Grund dürfte der Erdrutschsieg des demokratischen Lagers bei den Kommunalwahlen im November 2019 gewesen sein (17 von 18 Sitzen der Gemeinderäte mit insgesamt 117 Vertretern). Inzwischen ist der Termin ein weiteres Mal verschoben worden, auf den Dezember 2021.

Das schleichende Ende der parlamentarischen Opposition im LegCo begann bereits im November 2020, als die 19 demokratischen Abgeordneten im Stadtparlament aus Protest geschlossen zurück traten. Grund war der Ausschluss von vier pro-demokratischen Abgeordneten aus dem Parlament, die angeblich gegen ihren Amtseid verstoßen hatten.

Das Ende der parlamentarischen Opposition im Stadtparlament war gleichzeitig der Anfang der „Verbesserung” des politischen Systems für Stabilität und Wohlstand in Hongkong. Ein System, in dem nur noch „Patrioten” als Teil der Regierung und Verwaltung vertreten sein sollen.

März 2021 – Wahlreform: “Patrioten regieren Hongkong”

Ein weiterer Meilenstein aus Parteikadersicht und im Narrativ der KPCh ist die auf den diesjährigen “Zwei Tagungen”, dem Nationalen Volkskongress und der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes, beschlossene “Verbesserung des Wahlsystems.”

Fortan gilt die Formel:

Das Wahlsystem verbessern.

Sicherstellen, dass Patrioten Hongkong regieren.

Ein Land, zwei Systeme bewahren.

Stabilität und Wohlstand fördern.

Anfang März nahmen die knapp 3000 Delegierten die Änderung des Hongkonger Wahlrechts zum Abschluss des Nationalen Volkskongresses an (2895 Ja-Stimmen, 1 Enthaltung).

Ende März stimmten auch die 167 Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses den Änderungen zu. Diese wurden den Anhängen I & II des Basic Law zugefügt.

“Patrioten regieren Hongkong” – die “Verbesserungen” im Überblick:

Das Wahlkomitee, welches den Chef der Sonderverwaltungszone bestimmt, hatte bisher 1200 Mitglieder aus vier Bereichen der Gesellschaft. Das frisch reformierte Komitee ist nun um einen fünften Bereich mit insgesamt 300 Mitgliedern erweitert worden. Davon sind 190 Delegierte des Nationalen Volkskongresses und der beratenden Konsultativkonferenz, sowie 110 Vertreter aus nationalen Organisationen. Passenderweise der rote Block in untenstehender Grafik:

(Quelle: Booklet “Improve Electoral System Ensure Patriots Administering Hong Kong”, gov.hk)

Nicht mehr vertreten sind die bisherigen 117 Delegierten aus den 18 Gemeinderäten, die nach den Kommunalwahlen im November 2019 fast ausschliesslich mit Vertretern aus dem pro-demokratischen Lager besetzt gewesen wären.

Der Legislativrat LegCo ist um 20 Sitze, von bisher 70 auf 90, erweitert worden. Trotz dieser Vergrößerung verringert sich allerdings auch hier die Zahl der direkt wählbaren Abgeordneten. Stellten sie vor der “Verbesserung” des Wahlsystems die Hälfte des Stadtparlaments (35 von 70), sind es zukünftig weniger als ein Fünftel Sitze (20 von 90). Auch hier ist die Farbe rot tonangebend:

(Quelle: Booklet “Improve Electoral System Ensure Patriots Administering Hong Kong”, gov.hk)

Darüber hinaus müssen die 20 direkt wählbaren Kandidaten aus den geografischen Wahlkreisen zukünftig hohe Hürden erfüllen, um überhaupt nominiert werden zu können. Zum Beispiel sind bis zu vier Stimmen aus jedem der fünf Bereiche des Wahlkomitees nötig. Und um sicherzustellen, dass wirklich nur “Patrioten Hongkong regieren und verwalten” erfolgt außerdem eine Gesinnungsprüfung potentieller Kandidaten durch ein Komitee.

Ausblick und Rückblick

Durch die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes und die Wahlreform reagiert die KPCh ihrer inneren Logik folgend: Hongkong ist ein untrennbarer Teil Chinas und nach Monaten des Chaos kehrt wieder Stabilität und Wohlstand ein. Und damit sich solch chaotische Ereignisse in Zukunft nicht mehr wiederholen, hat Peking die Kontrolle über die Sonderverwaltungszone massiv ausgeweitet.

Der Wille Pekings wird durch den wachsenden Einfluss des Büros für Hongkong und Macau-Angelegenheiten unter Xia Baolong, sowie das im vergangenen Jahr eröffnete Sicherheitsbüro umgesetzt werden. Auch im Bildungsbereich, in Schulen und Universitäten, werden leitenden Funktionen mit Patrioten besetzt werden um die gewünschte patriotische Erziehung voranzutreiben.

Denn für Opposition, Pluralismus und Protest ist im staatlichen Narrativ vom neuen chinesischen Entwicklungspfad und der Wiedergeburt der chinesischen Nation offensichtlich kein Platz.

Für Millionen Menschen in Hongkong bringt diese Zeitenwende wenig Licht und viel Schatten mit sich. In den vergangenen zwei Jahren ist ihre Heimat von einer „Stadt der Hoffnung“ zu einer „Stadt der Angst“ geworden.

Der für den diesjährigen Oscar nominierte Dokumentarfilm “Do Not Split 不割席” zeigt diese Entwicklung:

Mehr dazu:

NZZ: So hat Peking das Wahlrecht in Hongkong entdemokratisiert

TAZ: Chinesische Verhältnisse 

WELT: Brief aus Hongkong

FAZ: Volkskongress stimmt gegen Demokratie


 

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3 Kommentare

  1. Man wird einfach stumm geschaltet, wo ist hier denn dann der Unterschied zu China? Der Unterschied ist, dass in China die Wirtschaft seit 40 Jahren im Jahresschnitt wächst und das die Pandemie dort schon Geschichte ist.

Antworten

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