#42 Im Sinoskop: Ausnahmezustand in Hongkong (II)

Hongkong Proteste
Hongkong Proteste

Ich war für mehr als 100 Tage im Gefängnis. Aber verglichen mit dem, wie mit Dissidenten auf dem chinesischen Festland umgegangen wird, ist es doch ein kleiner Preis.

Demokratieaktivist Joshua Wong nach seiner Entlassung (30.06.2019; ZEIT)

Inhalt

Proteste in Hongkong (II)

Sichtweise des Festlands

Im Sinoskop: Proteste in Hongkong (II)

Ein kurzer Überblick zum Kampf der Narrative der letzten Wochen.


Siehe dazu auch #41 Im Sinoskop: Ausnahmezustand in Hongkong.

#41 Proteste: Ausnahmezustand in Hongkong


Propaganda und Druckmittel

Während westliche Medien seit Beginn der Proteste im Juni ausführlich über die Entwicklungen in Hongkong berichten, wurde das Thema in der Volksrepublik wochenlang totgeschwiegen. Inzwischen berichten auch die Festlandmedien und sind dabei voll und ganz dem staatlichen Narrativ verpflichtet. Die Maschinerie der gelenkten Medien geht meinungsstark und selektiv vor. Das chinesische Volk bekommt ausschließlich einseitige Bilder von chaotischen Zuständen, von gewalttätigen Randalierern und von „Kriminellen“ vorgesetzt.

Im Kampf um die Deutungshoheit ist die staatliche Propaganda im Allgemeinen und antiamerikanische Propaganda im Speziellen eine beliebte und wirkungsvolle Waffe.

„Was ist Demokratie?

Um dieser Propaganda entgegenzuwirken wählte die Bewegung in den vergangenen Wochen Orte, an denen sich viele Festlandchinesen aufhalten. Auf diese Art wollte man Aufmerksamkeit schaffen und direkt ins Gespräch kommen. Es fanden Demonstrationen in bei Touristen beliebten Einkaufsstraßen und Stadtvierteln statt, deren Bewohner als Peking-nah gelten. Bei Kontakt mit dem anderen Lager stoßen die Demonstranten allerdings auf taube Ohren und Unverständnis.

Ein Reporter der NYT beschreibt das bei der Besetzung des Flughafens erlebte als ein aneinander vorbeireden zwischen Hongkongern und Festlandchinesen. Ein Austausch ist demnach kaum möglich, zu verhärtet sind die Fronten. Die Hongkonger beklagen, dass die Nachbarn keine Ahnung hätten, was Demokratie ist. Auf die Frage „was ist Demokratie?“ erhielten sie nur ablehnende bis feindliche Reaktionen.

Über den Flughafen auf der Insel Lantau reisen jährlich etwa 75 Millionen Passagiere. Dieses wichtige Drehkreuz Asiens legten die Demonstrierenden im August für mehrere Tage lahm. Auslöser war die Frustration über das harte Vorgehen der Polizei, die in kurzer Zeit Unmengen an Tränengas verschossen hat. Der Verbrauch ist so groß, dass die Vorräte knapp werden.

Hongkong Proteste

Beitragsbild by StudioIncendo is licensed under CC BY 2.0

Viele Journalisten begleiten Teile der Protestbewegung und gewähren Einblicke in deren Alltag und Motivation. Trotz der wachsenden Gefahren wollen sie weiter demonstrieren. Als ginge es nur um ein Videospiel und nicht das reale Leben, sprechen sie vom „Endkampf“ gegen einen übermächtigen Gegner. Viele der „Frontkämpfer“, die sich in der ersten Reihe Tränengas und Gummigeschossen der Polizei aussetzen, sind gerade einmal volljährig.

2047 wird diese junge Generation 28 Jahre älter und gerade einmal in der Lebensmitte sein. Dann endet das Prinzip „ein Land, zwei Systeme“ und Hongkong wird seinen Sonderstatus offiziell verlieren. Der kulturelle und geistige Graben zwischen Hongkong und dem Festland scheint schon jetzt gewaltig. Und längst liegt der Schatten von 2047 über der Stadt und breitet sich weiter aus. Der schleichende Verlust der Sonderrechte läßt sie bereits heute für ihre Zukunft demonstrieren.

Proteste in Hongkong – „Hongkong fällt“

… lautet die Überschrift einer Mitte August in der internationalen Presse veröffentlichten Anzeige, u.a. in der FAZ. Die Veröffentlicher warnen darin vor einem Polizeistaat in Hongkong. Und appellieren an Regierungen und die internationale Staatengemeinschaft, den Bürgern der Stadt zu helfen. Die Kernforderungen des offenen Briefs:

  • Regierungen sollen diplomatischen Druck auf Hongkong und China ausüben und ihren Verpflichtungen im Rahmen der Vereinten Nationen und des Völkerrechts nachkommen,
  • Keine Ausfuhr von Waffen oder von Ausrüstung, die zur Unterdrückung der Bevölkerung eingesetzt werden kann (Teile der zum Einsatz gekommenen Wasserwerfer stammen beispielsweise aus Deutschland)

In Deutschland leben mehr als 600 Hongkonger. Viele von ihnen demonstrierten in mehreren Städten für die Forderungen der Protestbewegung. Der lange Arm Pekings im Kampf um die Deutungshoheit macht sich auch hier bemerkbar. Der Einsatz von Druckmitteln ist keine Seltenheit, wie Vorfälle während einer Demo in Hamburg zeigen.

Das pro-chinesische Lager war gut organisiert und brachte sich mit einer riesigen chinesischen Flagge in Stellung, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Aus nächster Nähe filmten sie die Demonstranten und drohten, die Bilder an das chinesische Konsulat weiterzuleiten. In anderen Teilen Europas und der Welt, z.B. in Australien, treffen beide Lager ebenfalls aufeinander.

Ein kurzes Propagandavideo des staatlichen Fernsehsenders CGTV feiert die vaterlandsliebenden Patrioten:

Proteste in Hongkong – Die chinesische Sicht der Dinge vom Festland aus

Nach wochenlangem Schweigen läuft die chinesische Berichterstattung auf Hochtouren. Das staatliche Narrativ wird auf allen Kanälen verbreitet und zeichnet dabei ein selektives, eindeutiges Bild der Lage. Hongkong ist eine Stadt, die in Anarchie und Chaos zu versinken droht.

Im Video „Wer steckt hinter den Protesten in Hongkong?“ von CGTN wird die chinesische Sicht der Dinge dargestellt. Zwar wird zu Beginn gefragt „Wie kamen wir hierhin?“, die Antwort verzichtet dabei auf soziale und politische Zusammenhänge. Stattdessen zeichnen die Medien ein simples Bild der Lage, inklusive Feindblid. Dem einseitigen Bericht zufolge wimmelt es in Hongkong von Agenten der USA und Großbritannien, den vermeintlichen Köpfen hinter den Protesten. Am Ende des Beitrags stellt die Erzählerin die Frage „Und? Denkst Du immer noch die Proteste sind pro-demokratisch?“. Es ist ein Paradebeispiel chinesischer Propaganda.

Über Jahrzehnte hat der staatliche Zensurapparat Chinas ganze Arbeit geleistet. Die Köpfe und Herzen vieler Festlandchinesen scheinen fest im Griff des Partei-Narrativs. Deshalb zeigen sie kaum bis keinerlei Verständnis für die Protestbewegung und deren Forderungen. Stattdessen fragt man in der Volksrepublik vorwurfsvoll, was die Hongkonger denn noch mehr wollten? Anstatt zu protestieren sollten sie Dankbarkeit zeigen. In den Augen vieler Festlandchinesen sind die Nachbarn im Süden verwöhnt, undankbar und unpatriotisch.

Kampf der Worte

Ob „China Traum“ oder das „Wiedererstarken der Nation“, die Führung in Peking schürt das Feuer des chinesischen Nationalstolzes ganz bewußt. Vor diesem Hintergrund wurde im Laufe der letzten Wochen eine gewaltige Drohkulisse aufgebaut. Mit medienwirksamen Bildern, einer harten Wortwahl und zahlreichen Druckmitteln.

Wer mit dem Feuer spielt, kommt darin um“ warnte Yang Guang, Sprecher des chinesischen Verbindungsbüros in Hongkong. Weitere hochrangige Parteikader äußerten ihre Besorgnis über „erste Anzeichen von Terrorismus“ und forderten harte Strafen nach „Recht und Gesetz„. Um das Narrativ steuern zu können, sind den Akteuren scheinbar alle Mittel recht. Dabei wird weder vor Falschmeldungen noch vor Verschwörungstheorien halt gemacht.

Auch in Staatsmedien wie der Global Times kam man schnell zu dem Schluss, dass ein Kopf hinter den Protesten stecken muss. Für die nationalistischen Lautsprecher ist klar, dass die Proteste von Amerika aus gesteuert und vom Geheimdienst CIA gestützt werden. Treffen zwischen US-Politikern und Vertretern der Protestbewegung sind Beweis genug, genau wie Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen. Deren gemeinsames Ziel: China soll bloßgestellt und klein gehalten werden.

Zur Stimmungsmache nutzt die Partei auch massiv soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter oder Youtube. Allesamt westliche Firmen, deren Nutzung der Bevölkerung im eigenen Land untersagt ist. Ende August zogen die Plattform-Betreiber Konsequenzen und entfernten bzw. sperrten etliche chinesische Propagandakonten.

Kampf der Bilder

Medienwirksam wurden Anfang August mehrere Videos veröffentlicht, in denen die sofortige Einsatzbereitschaft der Streitkräfte demonstriert wird. Eines davon erschien rechtzeitig zum 92. Gründungsjubiläum der Volksbefreiungsarmee und wurde in der Sonderverwaltungszone aufgenommen. Innerhalb von drei Minuten veranschaulicht das chinesisches Militär, wie es für Ruhe und Ordnung sorgt.

Teil der Drohkulisse sind auch das Video der Polizei in Shenzhen und die Aufnahmen der paramilitärischen Einheiten, die im Sportstadium von Shenzhen stationiert sind. Zuletzt sorgten Militärfahrzeuge für Unbehagen, die als Teil der jährlichen „Truppenrotation“ früh morgens durch die Straßen Hongkongs rollten.

Proteste in Hongkong – Stand der Dinge am 30. August 2019

  • Die für den 31. August geplanten Großdemonstrationen wurden von der Polizei nicht genehmigt. Als Grund für das Verbot werden Sicherheitsbedenken angeführt. (Ein sensibles Datum. Am 31. August 2014 wurde den Forderungen nach der Einführung eines allgemeinen Wahlrechts eine Absage erteilt)
  • Mehrere Aktivisten der Demokratiebewegung wurden Ende August verhaftet, darunter Agnes Chow Ting (siehe auch #41) und Joshua Wong
  • Wenige Wochen vor dem Nationalfeiertag am 1. Oktober, dem 70. Jahrestag der Gründung, darf kein Zweifel an der Handlungsfähigkeit der Partei aufkommen.

Mehr dazu:

SZ: Sicherheitslücke in der Telegram-App ist Gefahr für Aktivisten

TAZ: Carrie Lam – Regierungschefin und Tigermutter

WELT: Hongkonger in Deutschland

ZEIT: Handwerk des Protests

DRADIO: Interview mit Chiu Kit Lam, einem der Initiatoren des offenen Briefs


 

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