#69 China-Politik EU & Deutschland (II): Indo-Pazifik Leitlinien der Bundesregierung

Indo-Pazifik Leitlinien Deutschland China

Unsere Partner im Indo-Pazifik fühlen sich von Chinas Machtanspruch zunehmend bedrängt. Sie wünschen sich ein klares Zeichen der Solidarität für geltendes internationales Recht, für unversehrtes Territorium, für freie Schifffahrt.

Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, 10.09.2020

Inhalt

I. Deutschlands neue China-Strategie

II. Leitlinien der Bundesregierung zum Indo-Pazifik

III. China-Strategie der Wirtschaft & der freie Markt

IV. Ausblick

Indo-Pazifik Leitlinien: Deutschlands neue China-Strategie

Auf der stürmischen See der deutschen China-Berichterstattung erfährt die Bundesregierung zuletzt Rückenwind: Es wehe ein „neuer Wind“ (TAZ), ein „Gegenwind“ (ND); von „endlich Tacheles reden“ (FAZ) und dem „Ende der Illusionen“ (Handelsblatt) war vermehrt zu lesen.

Kritik an der China-Politik der Bundesregierung gab es zuhauf: Die Bundeskanzlerin und der Wirtschaftsminister seien „Leisetreter“ und würden die Interessen der deutschen Wirtschaft, insbesondere jene der Automobilhersteller, voranstellen.

Auch den 5G-Netzausbau betreffend kommt es Medienberichten zufolge immer wieder zu Unstimmigkeiten innerhalb der Regierung, insbesondere zwischen Wirtschafts- und Außenministerium.

Auf europäischer Ebene ist Deutschland in den Augen mancher Kritiker der „Spaltpilz“, weil es eine härtere politische Gangart der EU gegenüber der Volksrepublik blockiere.

Tatsächlich ist inzwischen Bewegung ins Kanzleramt und die Ministerien gekommen, was China betrifft.

Neuer China-Kurs in Politik & Wirtschaft?

  • Ende Juli kündigte Außenminister Maas das Auslieferungsabkommen mit der Sonderverwaltungszone (SVZ) Hongkong. Sich in Deutschland aufhaltende Bürger der SVZ können somit nicht ausgewiesen und über Hongkong nach Festlandchina überstellt werden. Der Schritt erfolgte als Reaktion auf die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes Ende Juni, die verschobenen Wahlen zum Legislativrat, die am 6. September stattfinden sollten, und das kompromisslose Vorgehen des Staates gegen Regierungskritiker.

Siehe auch:

#32 Demokratie-Proteste in Hongkong führen zu Schlechtwetterlage mit China


  • Auch Bundespräsident Steinmeier forderte in diesem Zusammenhang eine Kurskorrektur Chinas. Ansonsten drohe „eine nachhaltige negative Veränderung zu den europäischen, zu den westlichen Staaten“, warnte er im ZDF-Sommerinterview.
  • 5G & Huawei: Das neue „IT-Sicherheitsgesetz 2.0“ sieht Einschränkungen, aber keinen kompletten Ausschluss vor. Dem Handelsblatt zufolge sollen „kritische Komponenten“ zukünftig in einem 2-stufigen Verfahren geprüft werden. Neben einer technischen Prüfung von Bauteilen sieht der Entwurf auch eine politische Bewertung der Vertrauenswürdigkeit von Herstellern vor. Bei kritischen Komponenten könnte somit eine Zertifizierung durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik & eine Vertrauenswürdigkeitserklärung der Hersteller erforderlich werden.
  • Auf der diesjährigen Asien-Pazifik Konferenz (19.10.) rufen Wirtschaftsminister Peter Altmaier und der Vorsitzende des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Joe Kaeser, deutsche Unternehmen auf, zu „diversifizieren“ und in Asien verstärkt Alternativen zum China-Geschäft zu suchen. Auch die Kanzlerin spricht und sieht viele „Möglichkeiten der Diversifizierung und Erschließung weiterer Märkte” in der Region.

Das Grußwort der Kanzlerin zur Digitalen Asien-Pazifik-Konferenz der Deutschen Wirtschaft:

 

Die politischen Rahmenbedingungen für die Zukunft der Wirtschaft, die “Diversifizierung der Lieferketten” und die “Kooperation und Zusammenarbeit in einer multilateralen, neuen Welt” (J. Kaeser) zwischen Deutschland, Europa und Asien-Pazifik, finden sich im Anfang September veröffentlichten Strategiepapier der Bundesregierung.

Leitlinien der Bundesregierung zum Indo-Pazifik

Untertitel: “Deutschland, Europa, Asien – Das 21. Jahrhundert gemeinsam gestalten“.

Mit den Leitlinien zum Indo-Pazifik präsentiert die Bundesregierung ihren „Wegweiser“ für die zukünftige deutsche Außenpolitik und eine mögliche Gesamtstrategie der EU.

Maßgeblich beteiligt an der Ausarbeitung der Leitlinien war das Verteidigungsministerium. Bundesministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zeigte sich erfreut darüber, dass „wir im Verteidigungsministerium den Charakter der Leitlinien maßgeblich mitgestalten konnten“. Bei ihrem jüngsten Treffen mit den Botschaftern des Berlin ASEAN Committee stellte die Ministerin klar, sie setze sich “für intensivere Beziehungen zu unseren Wertepartnern in Ost- und Südostasien ein“.

„Diversifizierung“, „Multilateralismus“ und „regelbasiertes“ Handeln stehen im Vordergrund der neuen Leitlinien. Als große Herausforderung gilt dabei die Einbeziehung Chinas.

China sei eine „Regionalmacht und aufstrebende Weltmacht“, welche „die Regeln der internationalen Ordnung stellenweise in Frage stellt“.

Deutschland setzt außenpolitisch weiterhin auf Kooperation in der Region und die Intensivierung der Zusammenarbeit. Auch, was die Volksrepublik betrifft. Konkretisiert werden deutsche „Interessen“, „Prinzipien“ und „Initiativen“ im Indo-Pazifik anhand von sieben „Gestaltungsfeldern“:

“Multilateralismus stärken” (S.25) / “Dem Klimawandel entgegentreten und die Umwelt schützen” (S.31) / “Frieden, Sicherheit und Stabilität stärken” (S.37) / “Für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit eintreten” (S.41) / “Regelbasierten, fairen und nachhaltigen Freihandel stärken” (S.47) / “Räume und Märkte regelbasiert vernetzen und digital transformieren” (S.53) / “Menschen über Kultur, Bildung und Wissenschaft zusammenbringen” (S.59).

Nachfolgend Auszüge aus den “Gestaltungsfeldern” der Indo-Pazifik Leitlinien der Bundesregierung. Im Sinoskop: angestrebte Kooperationen und die Intensivierung der Zusammenarbeit mit der Volksrepublik China.

Multilateralismus

  • Intensivere Zusammenarbeit der Bundesregierung und auf EU-Ebene mit ASEAN (Association of Souteast Asian Nations) und weiteren Regionalinstitutionen.

ASEAN-Mitgliedsstaaten:

Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand, Vietnam


  • Reform der Vereinten Nationen.

Klimawandel & Umwelt

  • Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, Schutz und Erhalt der Biodiversität, erneuerbare Energien und Energieeffizienz.
  • Umsetzung der Maßnahmen des Pariser Klimaabkommens von 2015.
  • Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD). „Aktives und effektives Engagement Chinas ein wichtiges Signal“.
  • Verbot bestimmter Formen des Handels mit Wildtieren.
  • Klimafinanzierungszusagen Deutschlands (2020: 4 Mrd. Euro) / Grüner Klimafonds (2,25 Mrd. Euro).

Frieden, Sicherheit & Stabilität

  • Schutz und Sicherung der regelbasierten Ordnung in der Region, sicherheits- und verteidigungspolitische Kooperationen.
  • Ein Verhaltenskodex (Code of Conduct) für das Südchinesische Meer.
  • Rüstungskontrolle & Friedensförderung; Nuklearmacht China muss „sich seiner Verantwortung stellen“ und „öffnen“.
  • Konferenzformat zum Umgang mit neuen Technologien und deren militärische Nutzung.

Siehe dazu auch:

#64 China im Friedensgutachten 2020


Menschenrechte & Rechtsstaatlichkeit

  • Umsetzung internationaler Menschenrechtsstandards.
  • Projekte zur Rechtsstaatsförderung und zur Förderung von Presse-, Meinungs- und Religionsfreiheit.

Freihandel

  • Wirtschaftliche Beziehungen diversifizieren und intensivieren (z.B. Lieferketten, Umwelt- und Sozialstandards).
  • multilaterales Handelssystem mit der Welthandelsorganisation im Zentrum.
  • Investitionsabkommen zwischen der EU und China.

Digitalisierung

  • EU-Asien-Konnektivitätsstrategie unterstützen, Zusammenarbeit im Bereich Industrie 4.0, Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands bei Schlüsseltechnologien stärken.

Interkultureller Austausch

  • Zusammenarbeit bei Kultur, Bildung und Wissenschaft ausbauen.

Quelle: https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2380500/33f978a9d4f511942c241eb4602086c1/200901-indo-pazifik-leitlinien–1–data.pdf.


Siehe auch:

#68 EU-China-Beziehungen 2020 (I)


China-Strategie der Wirtschaft & der freie Markt

2019 betrug der Warenwert deutscher Exporte nach China 95 Mrd. Euro, eine neue Rekordsumme (Handelsblatt).

Ebenfalls rekordverdächtig sind laut der EU-Handelskammer in China die wachsenden und anhaltenden Herausforderungen für europäische Unternehmen und deren Mitarbeiter geworden. Seit Covid19 hätte sich das Klima zunehmend verschlechtert, von Problemen für Business und Menschen ist im aktuellen Positionspapier die Rede. Bei den Mitgliedern der EU-Handelskammer sei den Eindruck entstanden, in China seien ausländisches Kapital und Technologie nach wie vor willkommen und begehrt. Ausländer selbst hingegen nicht.

Bei den Forderungen der Europäer nach einem “level playing field” und gleichwertigen Marktzugang, und den Versprechungen der Pekinger Führung sieht die EU-Handelskammer “eine Kluft zwischen Rhetorik und Realität“.

Kein “decoupling”,  auch kein  “level playing field”

Laut Handelsblatt unterhalten die DAX-Konzerne 700 Tochtergesellschaften in China. Auch die deutschen Maschinenbauer sind laut WELT mit rund 800 Tochterfirmen vertreten. Für viele Firmen ist China vor Deutschland, der EU oder den USA der größte Absatzmarkt. Die deutschen Autobauer setzten im zweiten Quartal 2020 knapp die Hälfte ihrer Pkw in China ab.

Volkswagen, Audi, BMW, Mercedes, Bayer, Siemens, Deutsche Bank, Continental, Allianz. Allesamt Firmennamen, die beispielhaft sind für einen anhaltenden Trend: Sie alle investieren kräftig in der Volksrepublik.

Beispiel Volkswagen: 33 Fabriken gibt es in der Volksrepublik. Bis 2024 plant der Konzern dort Investitionen in Höhe von €15 Mrd. für die Entwicklung und Produktion von E-Autos, berichtet WELT.

Beispiel Allianz: Der Versicherer genießt seit 2019 das Privileg, vom Joint-Venture Zwang befreit zu sein und sieht “signifikante Wachstumsperspektiven” im chinesischen Markt. Für andere Industriezweige sei es ebenfalls “keine Option”, diesen Markt nicht zu bedienen, zitiert WELT den Chef des Motorenherstellers Deutz.

China: Zweitgrößter Aktienmarkt der Welt

Und dann sind da noch die professionellen wie privaten Anleger, die großes Wachstumspotential im zweitgrößten Aktienmarkt der Welt sehen. Trotz Handelsstreit, Pandemie und wachsenden Spannungen erzielten die in Shanghai und Shenzhen gelisteten Aktien zuletzt Rekordwerte. Laut Handelsblatt erreichten die gut 4000 Aktien im Oktober ein Gesamtvolumen von 10,08 Billionen US-Dollar.

“Strategen und Investoren loben die besonderen Wachstumsaussichten für Firmen und die Wirtschaft” schreibt die Wirtschaftszeitung und belegt den Finanz-Optimismus mit Zahlen. Weltweit seien 2020 etwa zwei Milliarden Euro netto in klassische Investmentfonds mit chinesischen Festlandaktien geflossen.

Ausblick

Mit den Indo-Pazifik-Leitlinien verfolgt Deutschland einen multilateralen Ansatz, der auf Zusammenarbeit, Kooperation und Allianzen setzt. Wertebasiert und mit hohen Arbeits-, Umwelt- und Menschenrechtsstandards wollen Deutschland und die EU in der Region als attraktive Partner agieren. Die politischen Leitplanken sollen vor allem auch der deutschen Wirtschaft dabei helfen, Abhängigkeiten zu verringern und zu “diversifizieren”, ohne die Volksrepublik dabei vor den Kopf zu stoßen.

Beim Partner, Wettbewerber und Rivalen China fokussiert man die Zusammenarbeit bei gemeinsamen Schnittstellen (z.B. Umwelt- und Artenschutz, Maßnahmen gegen die Erderwärmung, Digitalisierung, Entwicklungshilfe). Bei strittigen Themen (z.B. Menschenrechtsfragen, Rechtssicherheit) gibt man sich zurückhaltender, immerhin finden diese inzwischen öfter Erwähnung.

Gleichzeitig scheint der Markt seinen eigenen Gesetzen und dabei vor allem allein dem Geldwert zu folgen. Zahlreiche deutsche Firmen und Finanzanleger investieren langfristig und massiv in der Volksrepublik. In Fernost ist von Investitionsstau keine Spur.

Die Umsetzung einer verstärkten politischen und militärischen Aktivität in der Region wird allerdings auch Verpflichtungen mit sich bringen und könnte auf lange Sicht zu Konflikten führen, die für Deutschland zum schwierigen Balanceakt werden könnten. Gefragt ist hier die “Weltpolitikfähigkeit” der EU.

Apropos Balanceakt. Das zukünftige Dreiecksverhältnis Deutschland-EU-China wird maßgeblich durch den Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen am 3. November beeinflusst werden. In West wie Ost richten sich die Blicke auf die Vereinigten Staaten.

Bald mehr zu den EU-China Beziehungen aus chinesischer Sicht.


Siehe auch:

#60 China-Politik der USA unter Donald Trump (I)


Beitragsbild: Vardion, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>

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