#49 China-Politik deutscher Parteien – Bündnis90/Die Grünen (IV)

China Bündnis90/die Grünen

Das chinesische Modernisierungsmodell scheint dem des westlich liberalen Kapitalismus in vielen Punkten, vor allem in seinem Konsumismus, zu ähneln, aber dieser Eindruck täuscht. In seinem Kern – die absolute Kontrolle der Partei über Wirtschaft und Gesellschaft – ist es eine autoritäre Alternative zum westlich liberalen Modell, quasi eine „leninistische Moderne auf digitaler Grundlage“, nicht dessen Kopie.

Joschka Fischer, Der Abstieg des Westens, 2018

Inhalt

China-Politik deutscher Parteien: Bündnis90/Die Grünen

Zwischenbericht zum neuen Grundsatzprogramm

Für Freiheit & Menschenrechte

China-Politik: Positionen deutscher Parteien – Bündnis90/Die Grünen

In “Der Abstieg des Westens” (2018, Kiepenheuer&Witsch) beschreibt Joschka Fischer, ehemaliger Bundesaussenminister und Gruenen-Politiker a.D., „die Morgendämmerung einer neuen Weltordnung“ und meint damit das asiatische 21. Jahrhundert. Auf das amerikanische 20. Jahrhundert folge die Verschiebung des globalen Machtzentrums nach Asien. Dies führe entweder zur „Wachablösung“ der USA durch China als Zentrum einer neuen Weltordnung, oder aber zu einem Duopol „Chimerica“ aus alter und neuer Großmacht. Das Ende der Dominanz des Westens hält Fischer für unvermeidbar.

Das Ende des „Jahrhunderts des Westens“

Mit Blick auf Europa kritisiert er die Selbstbezogenheit der Europäer. Die Vorstellung, die europäische Staatenordnung könne im 21. Jhdt. als Vorbild dienen, sei „bizarr bis naiv“. Vielmehr seien diese als Folge der gewaltigen geopolitischen Verschiebungen zunehmend auf sich selbst gestellt und müssten eigene Antworten auf Chinas zunehmenden Nationalismus und globalen Führungsanspruch finden. China setze außerhalb der unmittelbaren Nachbarschaft statt auf militärische Mittel “in seiner Machtprojektion auf die Wirtschaft und auf strategische Abhängigkeit durch Investitionen, Infrastruktur und Zugang zum chinesischen Markt”.

In seiner Analyse sieht Joschka Fischer durch Chinas Wiederaufstieg große Umwälzungen und Herausforderungen auf Deutschland und Europa zukommen. Und wie stehen die aktiven Politiker von Bündnis90/Die Grünen zur Volksrepublik China?

Auszüge aus dem Zwischenbericht zum neuen Grundsatzprogramm von Bündnis90/die Grünen

Das aktuelle Grundsatzprogramm von Bündnis90/Die Grünen stammt aus dem Jahr 2002, die Partei entwickelt gerade ihr viertes, welches 2020 erscheinen soll. Ein Zwischenbericht zum neuen Grundsatzprogramm erschien im März diesen Jahres. Darin findet sich manches, was sich – unter anderem – auf China bezieht, ohne die Volksrepublik beim Namen zu nennen.

Im ersten Abschnitt des Zwischenberichts, „Herausforderungen unserer Zeit“, ist beispielsweise von den „Gegnern“ demokratischer Gesellschaften die Rede. Diese übten mittels „Kontrolle und Manipulation durch das Internet, digitale Überwachung und Zensur“ zunehmend Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure aus.

Globalisierung der Ungleichheit

  • „Einerseits“ sehen Die Grünen die globalisierte Welt in Unordnung. Diese „unregulierte, einseitig auf Gewinnmaximierung“ ausgerichtete Globalisierung führe zu Spaltung, Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Als Akteure werden u.a. Staatskonzerne autoritärer Staaten ausgemacht, deren „Macht und Einfluss unmittelbar politisch ist“, sich aber selbst jeglicher politischer Kontrolle entzögen. Im Hinblick auf die digitale Revolution drohe die Welt „noch ungleicher zu werden“.
  • „Andererseits“ könnten „Smarte Städte“, digitale Vernetzung und globale Logistik zum Wohlstand beitragen. Die Partei wolle „den Krisen mit technologischem Wandel begegnen – voller Ideenreichtum, Kreativität und Innovationskraft“.

Auf die Herausforderungen folgen im nächsten Abschnitt „Antworten in Zeiten des Umbruchs“. Hier steht für Die Grünen vor allem ein Ziel im Vordergrund: Die Schaffung einer ökologischen Moderne, ein „Green New Deal“.

  • Eine sozial-ökologische Marktwirtschaft solle zu einem emissionsfreien Europa mit geschlossenen Rohstoffkreisläufen und einer naturverträglichen und tiergerechten Produktions- und Ernährungsweise führen. Das Prinzip der Nachhaltigkeit müsse zur Leitlinie des politischen Handels werden.

Weltpolitikfähigkeit & Friedensprojekt Europa

Die Partei setzt sich für ein starkes Europa und politische Bündnisse ein, die auf die „Stärke des Rechts“ in den internationalen Beziehungen setzen. Europäische Probleme und globale Herausforderungen könnten nur durch eine „stetige Vertiefung und Verbesserung“ der EU gelöst werden. Um Vorreiter für die Lösung globaler Zukunftsfragen zu werden, müsse die EU ihre Rolle allerdings neu definieren und weltpolitikfähig werden.

Mit dieser Weltpolitikfähigkeit der EU wollen Die Grünen auch die Entwicklungs- und Handelspolitik nachhaltig und neu gestalten. Statt eines nationalen „Tunnelblicks“ müsse vielmehr „politikfeldübergreifend und interdisziplinär“ gedacht und gehandelt werden. So könne über die Grenzen der EU hinaus gemeinsam mit Partnern eine neue „globale Strukturpolitik“ vorangetrieben werden.

  • Dazu gehöre auch fairer und offener Handel mittels einer „demokratischen Welthandelsordnung“ sowie eine europäische Industriepolitik unter dem Dach einer reformierten WTO.
  • Auch die Finanz- und Währungsordnung müsse mehr „im Dienst der Menschen“ stehen und auf globaler Ebene reguliert werden. Hierzu will die Partei kurzfristig eine Finanztransaktionssteuer und langfristig eine Weltzentralbank einführen. Der Euro soll globale Leitwährung werden.
  • Mit einem europäischen Sitz im reformierten Weltsicherheitsrat solle im Rahmen der Vereinten Nationen „Weltinnenpolitik“ betrieben werden. Für die Vereinten Nationen wünscht man sich eine Schlüsselrolle:

Sie sollen zum einzigen Ort für Entscheidungen von globaler Reichweite werden, […] sich demokratisieren und […] weltweit flächendeckend starke Institutionen zur Bearbeitung der globalen Herausforderungen vorhalten.

Fairer Wettbewerb trotz Krise des Multilateralismus

Den Herausforderungen der Globalisierung wollen die Grünen mit einer Doppelstrategie begegnen. Um die Regeln in der „globalen Arena aktiv“ zu gestalten, wolle man zum einen Bündnisse mit wechselnden Partnern mit gemeinsamer Wertebasis schließen, wenn es „ökologisch und sozial erforderlich“ ist. Auch, wenn diese „in anderen Bereichen nicht unsere Politik verfolgen“. Zum anderen wolle man in „Zeiten des multilateralen Stillstandes“ auch weltweite Allianzen mit „Verbündeten unterschiedlichster Art“ eingehen.

Eine europäische Industriepolitik müsse die „europäische Vorstellung einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft durchsetzen“:

Das beinhaltet auch, sich aggressiven übernahmen entgegenzustellen, wo Dumping, Protektionismus und mangelnde Regulierung zu unfairem Wettbewerb führen. Dafür wollen wir Kooperationen, Joint Ventures und Fusionen im Sinne des europäischen Wettbewerbsrechts ermöglichen. Der Erwerb von Unternehmensbeteiligungen, Direktinvestitionen und Marktzutritte müssen auf der Basis von Standards und Gegenseitigkeit erfolgen. Eine Schlüsselrolle spielen dabei auch gerade öffentliche Ausschreibungen und Vergaben.

Dafür braucht es eine gemeinsame Definition und den entsprechenden Schutz von kritischer Infrastruktur und Schlüsselindustrien und ein auf unseren Grundwerten basierendes Regelwerk für künstliche Intelligenz.

Ein europäischer Weg für den technologischen Wandel

Ein eigenständiger europäischer Weg soll die Rahmenbedingungen für die „Basistechnologien für das 21. Jahrhundert“ setzen. So müsse man sich „nicht auf die Technologien anderer verlassen“ und damit „unter Umständen auf Standards, die nicht auf unseren eigenen Werten beruhen.“ Das Ziel der Grünen ist, die „strategische Souveränität der EU im Bereich der digitalen Infrastruktur“ zu fördern.

Im Zwischenbericht wird die Frage gestellt, „ob die dezentrale Überlegenheit der Marktwirtschaft gegenüber zentralistischen Systemen in der Vergangenheit so in der digitalen Zeit noch gilt.“ Die Antwort aus Sicht der Partei:

Die Informationseffizienz scheint bei zentralen Systemen größer, was dazu führen kann, dass undemokratische Staaten einen Wettbewerbsvorteil gegenüber demokratischen haben. Wenn wir die Digitalisierung also nicht politisch gestalten, sondern den Trends des freien Marktes überlassen, dann wird sie sich nicht entlang unserer Werte bewegen. Dann entscheiden weltweit agierende Konzerne und autoritäre Staaten nach Maßgabe des zu erwartenden Gewinns oder des politischen Zwecks über unsere Zukunft und nicht demokratisch gewählte Politik zum Wohle der Menschen.“

Der Rechtsstaat müsse auch in der digitalen Welt die Grund- und Freiheitsrechte durchsetzen.

Zum Ende des Zwischenberichts, im Themenfeld Bildung, Forschung und Entwicklung, wird China einmal explizit erwähnt:

„[…] Heute sind es junge Technologiefirmen aus den USA und China, die die Liste der weltweit größten börsennotierten Unternehmen anführen. Europas wirtschaftliche Stärke hängt heute noch zu einem großen Teil von vordigitalen Kernindustrien ab. Der technologische Umbruch in der Weltwirtschaft ist daher auch für Deutschland und Europa eine fundamentale Herausforderung.“

Fazit zum Zwischenbericht

Im Zwischenbericht werden Gegenwarts- und Zukunftsthemen wie Nachhaltigkeit, geopolitische Veränderungen und die digitale Revolution identifiziert. Der Austausch beziehungsweise die Auseinandersetzung mit China ist in diesen Bereichen unvermeidlich und wird auch angedeutet. Was die China-Politik und Positionen von Bündnis90/Die Grünen angeht, setzt die Partei erkennbar auf Kooperation und Konsens, gleichzeitig auf eine europäische Emanzipation. Welche konkreten politischen Maßnahmen die Partei auf diese “Herausforderungen unserer Zeit” und im Umgang mit China umsetzen will, wird vielleicht im nächsten Grundsatzprogramm deutlicher werden.

Bis dahin ein Blick auf die China-Politik und Positionen einzelner Vertreter von Bündnis90/Die Grünen, die sich intensiv und kritisch mit der Volksrepublik auseinandersetzen.

China-Politik: Die Grünen für Meinungsfreiheit & Menschenrechte

Die Bundestagsfraktion der Grünen stellt im Hinblick auf China regelmäßig schriftliche Anfragen an die Bundesregierung.

So wurden auf eine dieser Anfragen im September „Kenntnisse über Einflussnahmen auf Hongkong-Aktivistinnen in Deutschland, die sich für Demonstrationsfreiheit, Unversehrtheit der Demonstrierenden und freie Meinungsäußerung einsetzen“ bestätigt. Laut Bundesregierung sei der Fokus der Ausspähung die “Bekämpfung von Bewegungen, die aus Sicht der Kommunistischen Partei Chinas ihr Machtmonopol infrage stellen und eine Bedrohung für die nationale Einheit darstellen”.

Die Grünen-Politikerin Margarete Bause ist Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Bundestag und setzt sich offen und kritisch mit China auseinander. Auf ihrer Webseite finden sich kritische Beiträge zu Menschenrechtsfragen in China, ob in Hongkong oder Xinjiang.

Zu den Geschäften deutscher Firmen in Xinjiang stellte die Politikerin Anfang Oktober mehrere Anfragen an das Auswärtige Amt sowie an das Bundeswirtschaftsministerium, wie die Welt berichtet. In der Stellungnahme der Bundesregierung heißt es demnach, man habe keine “aktuellen und verlässlichen Kenntnisse darüber, inwiefern dort Kontroll- und Überwachungstechnologie deutscher und europäischer Unternehmen beziehungsweise für den Einsatz zur Überwachung der Bevölkerung vor Ort geeignete Produkte zum Einsatz kommen.”

In einem Interview im Deutschlandfunk fordert Bause “eine konsistente China-Strategie in Deutschland, aber auch in Europa, dass nicht zwischen Menschenrechten und Wirtschaftsinteressen unterschieden wird, sondern dass die Menschenrechte die Grundlage sind, auf der unsere Wirtschaftsinteressen dann verfolgt werden können“.

“Die Teile-und-Herrsche-Politik, die China praktiziert, um zu spalten, um die eigenen Interessen durchzusetzen, die darf nicht auf fruchtbaren Boden fallen“, so Bause.

Auch Jürgen Trittin, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, äußert sich regelmäßig kritisch und fordert in einer Pressemitteilung Ende September ein Ende der “Leisetreterei” gegenüber Peking:

Europa braucht endlich eine realistische Chinapolitik. Die muss europäisch und nicht national sein. Die EU-Mitgliedsstaaten müssen sich von ihren China-Illusionen und Zerrbildern verabschieden und gleichzeitig in Europas Souveränität investieren“.

Der “Europäische Traum”

Und dann ist da noch Reinhard Bütikofer, Vorsitzender der China-Delegation des Europaparlaments.


Mehr zur China-Politik von Bündnis90/Die Grünen im Beitrag #22 Westwind und Ostwind


Auf der Außenpolitischen Jahrestagung 2018 der Parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung sprach Bütikofer zum Thema „Asiatisch-pazifische Sicherheit ‘Chinas Traum’ und ‘America First’“.

In seiner Rede stellt Bütikofer eine veränderte europäische Wahrnehmung fest, die sich durch mehr Beunruhigung als noch vor ein paar Jahren auszeichnen würde. Die Modernisierung der Regierung in China beschreibt er als einen autoritären „regime change’“ hin zu einer Art „Partei-Kaisertum“. Dieses neue Modell stelle einen Bruch der alten Weltordnung des Multilateralismus dar, es drohe eine neue Weltordnung ohne Demokratie und Menschenrechte.

Europa reagiere auf dieses Modell immer noch mit Kooperation, aber auch mit neuen Regelungen, so Bütikofer. Man sei China gegenüber inzwischen weniger blauäugig, beispielsweise was die “Belt and Road Initiative” angehe. Bütikofer fordert die Handlungsfähigkeit Europas und einen europäischen Traum als Gegenentwurf zu „China Dream“ und „America First“. Dieser europäische Traum müsse multilateral sein und auch den Kleinen eine Stimme geben.

Das Video der außenpolitischen Jahrestagung 2018 der Heinrich-Böll-Stiftung:

Zum 30. Jahrestag der Proteste am Platz des himmlischen Friedens organisierten Die Grünen ein Expertengespräch im Bundestag, siehe auch Beitrag #32 Demokratie-Proteste in Hongkong führen zu Schlechtwetterlage mit China.

Mehr dazu:

#66 China-Positionen deutscher Parteien im Jahr 2020

#61 China-Debatte im Bundestag und den Parteien

#40 China-Positionen deutscher Parteien (III) Die Linke

#39 China-Positionen deutscher Parteien (II)

#38 China-Positionspapier der FDP

ARD: Wie China Druck macht

SZ: China und die Meinungsfreiheit in Deutschland

TAZ: Interview mit Margarete Bause


 

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