#112 Taiwan und die Wahl „zwischen Krieg und Frieden“

China wird mit Sicherheit wiedervereinigt werden, und alle Chinesen auf beiden Seiten der Straße von Taiwan sollten ein gemeinsames Ziel vor Augen haben und am Ruhm des Wiedererstarkens des chinesischen Volkes teilhaben.

Xi Jinping, Neujahrsrede von 31.12.2023

Taiwan und die Wahl „zwischen Krieg und Frieden“

Das weltweite „Superwahljahr 2024“ begann auf der demokratisch regierten Inselrepublik Taiwan (R.O.C./Republic of China). Am 13. Januar 113 nach taiwanischer Zeitrechnung konnten rund 19,5 Millionen Wahlberechtigte ihre Stimme bei den 16. Präsidentschafts- und 11. Parlamentswahlen abgeben.

Die Landsleute auf Taiwan müssten auf der „richtigen Seite der Geschichte stehen“ und bei den anstehenden Wahlen die „korrekte Entscheidung“ treffen: Eine zwischen „Krieg oder Frieden“, zwischen „Wohlstand oder Niedergang“.

Unsere Haltung zur Lösung der Taiwan-Frage und zur Verwirklichung der nationalen Wiedervereinigung bleibt unverändert, und unsere Entschlossenheit ist unerschütterlich.

So formulieren es Zhang Zhijun und Chen Binhua, zwei hochrangige Regierungsbeamte der KPCh für Taiwan-Angelegenheiten.

Das „blaue Lager“ der oppositionellen Kuomintang (KMT) nutzte im Wahlkampf dieselben warnenden Worte und warb mit diesem Drohszenario um Wählerstimmen.

Diesbezüglich und in vielerlei weiterer Hinsicht interessant das Gespräch des letzten Präsidenten der KMT, Ma Ying-jeou, mit der Deutschen Welle.

Ergebnis der Präsidentschaftswahl 2024 in Taiwan: DPP gewinnt 3. Amtszeit

Wahl Taiwan 2024

Wahlbeteiligung: 71,86%

(Quelle: Taiwan Central Election Commission)

Herr Lai und Frau Hsiao auf der „Straße der Demokratie“

In  “On the way“, dem letzten – und digital erstellten – Wahlkampfvideo der DDP, fahren die scheidende Präsidentin Tsai Ing-wen und Lai Ching-te, bisheriger Vizepräsident, auf einer virtuellen Reise die Insel entlang.

Hsiao Bi-kim, die ehemalige diplomatische Vertreterin Taiwans in den USA, steigt hinzu. Nach einer kurzen Fahrt zu dritt übergibt Frau Tsai das Steuer an ihren Nachfolger als Regierungschef und steigt aus.

„Fahrt besser als ich!“, sagt Frau Tsai zum Abschied.

“Kein Problem mit ihr an meiner Seite“, versichert Herr Lai lächelnd.

Gemeinsam fahren die Wahlsieger der Präsidenschaftswahlen 2024 in Taiwan weiter die „Straße der Demokratie“ entlang.

Der 64-jährige Herr Lai wird sein Amt am 20. Mai antreten. Mit knapp über 40% der Wählerstimmen ist seine Position allerdings eine schwächere als die seiner Vorgängerin. Bei den Präsidentschaftswahlen 2016 und 2020 konnten Tsai Ing-wen und die DPP jeweils mehr als 55% der Stimmen für sich verbuchen.

Mit einem Stimmanteil von rund 26% feiert die Taiwan People’s Party (TPP) mit ihrem Spitzenkandidaten Ko Wen-je einen weiteren Erfolg. Die TPP festigt ihre Position als „dritte Kraft“ neben den „blauen“ und „grünen“ Lagern weiter.

#52 Präsidentschaftswahl 2020: Taiwan hat gewählt

Wahl des Legislative Yuan – Patt im Parlament

Im künftigen Legislative Yuan, dem Parlament der Republik China mit insgesamt 113 Sitzen (besetzt von 66 Männern und 47 Frauen), wird die regierende DPP ab Februar keine Mehrheit mehr haben:

  • DPP 51 (-10)
  • KMT 52 (+13)
  • TPP 8 (+3)
  • Parteilos 2

Wahlbeteiligung: ca. 72%.

#94 Wahlen in Taiwan 2022

Nach der Präsidentschaftswahl 2024 in Taiwan

Die nächsten vier Jahre ist die Regierung somit stärker auf die Zusammenarbeit mit den Oppositionsparteien angewiesen. Die DPP wird zu mehr Kompromissbereitschaft bereit sein müssen, um eigene politische Projekte umsetzen zu können.

Die Umsetzung radikaler Projekte, wie das von vielen in der Bevölkerung gefürchtete und ungewollte vorantreiben einer offiziellen Unabhängigkeitserklärung, wird bereits allein durch die Sitzverteilung im Legislative Yuan unwahrscheinlich.

Bereits im Wahlkampf hatte das Duo Lai und Hsiao versprochen, keine Schritte in Richtung Unabhängigkeit unternehmen zu wollen.

In seiner Siegesrede zeigte sich Herr Lai moderat und hob drei Punkte hervor:

  1. Taiwan stehe auf der Seite der Demokratie, nicht des Autoritarismus.
  2. Nur das Volk allein könne den eigenen Präsidenten wählen und habe der Einflussnahme von außen widerstanden.
  3. Als stärkste Kraft wolle er den Kurs der letzten acht Jahre fortführen.

Die Beziehung zum Festland war eines der bestimmenden Wahlkampfthemen. Die diesjährigen Wahlergebnisse ist damit auch ein Ausdruck des mehrheitlichen Wählerwillens, den bisherigen Status quo unverändert beibehalten zu wollen. Also weder die Unabhängigkeit vom, noch eine Wiedervereinigung mit dem Festland à la „ein Land, zwei Systeme“.

Neben dem Verhältnis zum Festland und geopolitischen Themen sind es die konkreten Herausforderungen im Alltag (Wirtschaft und Arbeitsmarkt, steigende Wohn- und Lebenshaltungskosten), welche die Bevölkerung Taiwans beschäftigen und bei denen sie sich Lösungen von den Politikern erwarten.

„Grüner Terror“ und „rote Linien“

Aus Festlandsicht geht der „grüne Terror“ der DPP weiter. Dementsprechend führt die KPCh ihre scharfe Rhetorik ebenso fort wie die Militärmanöver vor der Küste Taiwans. Und läßt auf internationaler Ebene die Muskeln spielen: wenige Tage nach der Wahl verkündete der pazifische Inselstaat Nauru den Abbruch der Beziehungen zur Republik Taiwan und die Annäherung an die Volksrepublik China. Stichwort Scheckbuch-Diplomatie.

Wird die DPP vier weitere Jahre in Frieden regieren können? Oder wird die „rote Linie“ übertreten, in Peking oder Washington reißt der Geduldsfaden und die Spannungen in und um die Taiwan-Straße eskalieren?

Noch betonen die beteiligten Hauptakteure – KPCh, USA, DPP – den Willen und die Notwendigkeit einer friedlichen Lösung.

Gleichzeitig findet in der gesamten Region längst ein gewaltiges Wettrüsten statt, womit die Wahrscheinlichkeit eines Zwischenfalls, ob zufällig oder gewollt, steigt.

Letztlich gibt es wenig Spielraum für Verhandlungen. Denn aus Sicht der KPCh ist Taiwan ein „seit Urzeiten unveräußerlicher Teil Chinas“ und die „Wiedervereinigung unvermeidbar“. Wenn möglich friedlich, wenn nötig auch militärisch.

Solange sich diese Grundvoraussetzungen nicht ändern, bleibt es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis es in der Taiwan-Straße zur Schaffung neuer Tatsachen kommen wird.

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Dradio: Wohin steuert China-Kritiker Lai das Land?

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Beitragsbild:

CD967119, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons

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