#94 Wahlen in Taiwan 2022

Wahlen in Taiwan 2022
Taiwans politische Landschaft nach den Kommunalwahlen 2022

民主,是台灣人民歷經無數選舉、幾個世代的人努力打拚,而累積的最珍貴資產,政黨競爭會有輸贏,選舉不論誰輸誰贏,人民一定要是最後的贏家。

Die Demokratie ist das wertvollste Gut, das die Menschen in Taiwan in unzähligen Wahlen und durch die harte Arbeit mehrerer Generationen erworben haben.

Tsai Ing-wen nach der Wahlniederlage der DDP, Taipeh, 26.11.22

Wahlen in Taiwan 2022

Etwas mehr als 19 Millionen Einwohner Taiwans hatten am 26. November die Möglichkeit, bei den Kommunalwahlen ihre Stimme abzugeben. Diese findet alle vier Jahre statt, zuletzt 2018. Bei den sogenannten “9 in 1” Wahlen werden in ganz Taiwan neun verschiedene Ämter in der Kommunalverwaltung vergeben, darunter 22 Bürgermeister und rund 11.000 Gemeinderäte.

Taiwan vor der Kommunalwahl im November 2022

Ein paar persönliche Eindrücke aus Taiwan während der Wahlkampfphase. Der aktualisierte Text erschien am Abend vor der Wahl in Die Woche im Sinoskop.

In Taiwan finden morgen (26.11.) Kommunalwahlen statt. Bürgermeister, Land- und Stadträte werden neu gewählt. Außerdem kann per Referendum abgestimmt werden, ob das Wahlalter von bisher 20 auf 18 Jahre herabgesetzt werden soll.

Der Wahlkampf läuft seit Wochen auf Hochtouren. Auf kleineren und größeren Bühnen halten Kandidatinnen und Kandidaten Reden, sie singen und tanzen um die Gunst des Wahlvolks. Auf Wahlplakaten, Postern und Bannern begegnen sie einem überall. Manchmal mit einem Lächeln, manchmal mit ernstem Blick, gerne kämpferisch und mit geballter Faust als Zeichen ihres Tatendrangs.

Als Teil eines Korso aus Trucks, Pkw, Rollern und Fahrrädern stehen sie auf den Ladeflächen von Fahrzeugen und ziehen winkend und lächelnd durch Stadt und Land. Oder sie gehen zu Fuß durch den Wahlkreis, klappern Geschäfte ab und verbeugen sich vor deren Eigentümern, schütteln eifrig Hände. Oft tragen sie eine rote Schärpe und stets werden sie von einem Tross uniformierter Loyalisten begleitet. Dieser wirbt Fähnchen schwenkend und lautstark per Megafon um Stimmen für Kandidat Nummer 1,2,3 und so weiter.

Am Freitagabend vor der Wahl finden landesweit die letzten Wahlkampfveranstaltungen statt. Im Fernsehen zeigt ein Guomindang (KMT)-naher Sender eine Live-Übertragung der Partei, erst aus Tainan und danach aus Kaohsiung, der zweitgrößten Stadt Taiwans.

Auf der Bühne wechseln sich die Rednerinnen und Redner ab, von theatralischer Musik untermalt. Ein Moderatorenduo macht in den Redepausen Stimmung. Dazwischen Drachentanzvorführungen und Kostümierte, die zu schneller Techno-Musik einen Tanz aufführen.

Im Publikum und auf der Bühne werden eifrig Fähnchen mit der Flagge Taiwans geschwenkt. Immer und immer wieder setzt eine eine laute Partytröte ein.

Inhaltlich geht es um klassische Wahlkampfthemen wie Arbeit, Wohlstand, Bildung, Sicherheit und den Erhalt von Traditionen. Ein sehr großes Thema ist die Zukunft der Kinder.

Mit einer Mischung aus Wahlkampfrede und Unterhaltungsshow wird vor allem an die Emotionen der Menschen appelliert. An Schuldzuweisungen und populistischer Kritik an der „unfairen“ Politik der Demokratischen Fortschrittspartei (DDP) wird nicht gespart. „Nieder mit der DDP!“ ruft ein Redner ins Publikum.

Und immer wieder gehen die Fähnchen nach oben und von der Bühne wird ein „Auf geht‘s, Guomindang!“ (國民黨, 加油!) nach dem anderen gebrüllt.

Zum Abschluss wird es dann noch einmal harmonisch. Alle Kandidaten stehen mit weißen Westen auf der Bühne, schwenken Fähnchen zu Klaviermusik, eine Sängerin singt eine Ballade. Das Publikum macht mit, schwenkt Fähnchen und läßt die Handybildschirme hell strahlen.

Auch wenn Taiwans politische Landschaft mit mehreren Hundert Parteien äußerst bunt ist und auch Parteilose antreten, kämpfen zwei große Lager um die Mehrheit der Wählerstimmen. Das blaue Lager mit der KMT und das grüne Lager mit der DDP.

Obschon es bei den Wahlen vorrangig um Themen auf kommunaler Ebene geht, könnten die Ergebnisse auch ein Indikator für die nächsten Präsidentschaftswahlen 2024 sein.

In einer Videoansprache erklärte Tsai Ing-wen die lokalen Wahlen zu einer Abstimmung über ihre Präsidentschaft und rückte damit die Beziehungen zum Festland in den Vordergrund. Die China-kritische Politik der DDP verhalf Frau Tsai 2020 zur Wiederwahl. Ob diese Taktik auch diesmal aufgeht, wird sich zeigen. Die konservative und China-freundliche KMT ging als Gewinner aus den letzten Kommunalwahlen 2018 hervor.

Anders als bei vergangenen Wahlen scheinen die Versuche zur Einflussnahme aus Festland-China während diesen Kommunalwahlen gering, sagte Taiwans Außenminister Wu. Für Diskussionen sorgt der Umstand, das Tausende wahlberechtigte Taiwaner wegen eines positiven Testergebnisses nicht wählen gehen dürfen.

Wahlkampf der DDP, Kaohsiung
Wahlkämpferin der KMT, Kaohsiung
Kandidatin der TPP, Kaoshiung

Ergebnisse der Wahlen in Taiwan

Am Wahltag waren die Wahllokale von 8 bis 16 Uhr geöffnet.

Vor dem Wahllokal in einer Schule, Hengchun
Stimmabgabe an der Wahlurne, Hengchun

Nur wenige Minuten nach 16 Uhr flimmerten schon die ersten Hochrechnungen der ausgezählten Stimmen über die Bildschirme.

Schnell zeichnete sich ein Trend ab: Eine “blaue Welle” rollt über das Land und damit ein Wahlerfolg der KMT.

Vor allem der Wahlsieg des Urenkels des KMT-Führers Chiang Kai-sheks, Chiang Wan-an, in Taipeh ist einer der großen Erfolge der KMT. Nicht nur, weil Taipeh die bevölkerungsreichste und sehr wohlhabend Stadt ist. Auch Neu-Taipeh ging an die KMT. Bürgermeister der Hauptstadt werden als potentielle Präsidentschaftskandidaten gehandelt.

Ko Wen-je, bisheriger Bürgermeister von Taipeh und Gründer der Taiwanischen Volkspartei (TPP), wird voraussichtlich 2024 bei Präsidentschaftswahlen antreten.

Die amtierende Präsidentin Tsai Ing-wen trat noch am Wahlabend vor die Presse und zog nach dem schlechten Abschneiden ihrer Partei Konsequenzen. Sie verkündete ihren Rücktritt vom Parteivorsitz der DDP.

Mit dem Rücktritt vom Parteivorsitz wiederholt sich die Geschichte. Bei den vorletzten Kommunalwahlen 2018 besetzte die DDP 13 der höchsten Posten und verlor sieben davon an die KMT. Frau Tsai gab daraufhin schon einmal den Parteivorsitz ab.

Taiwans politische Landschaft nach der Kommunalwahl 2022:

 

Wahlen in Taiwan 2022

Verteilung der Bürgermeister in 21 von 22 Wahlkreisen (in Klammern: Ergebnis von 2018)

Blau: Kuomindang/國民黨: 13 (15)
Grün: Demokratische Fortschrittspartei/民主進步黨: 5 (6)
Schwarz: Unabhängige/Parteilose: 2 (1)
Hellblau: Taiwanische Volkspartei/台灣民眾黨: 1 (2019 gegründet)

Weißer Fleck: Die noch ausstehende Wahl in Chiayi wird am 18. Dezember nachgeholt.

Verteilung der Stadt- und Kreisräte nach der Kommunalwahl 2022:

Wahlen

Blau: Kuomindang/國民黨: 367 / 40,3% (2018: 394)
Grün: Demokratische Fortschrittspartei/民主進步黨: 277 / 30,4% (2018: 238)
Grau: Unabhängige/Parteilose: 227 / 25% (2018: 234)
Hellblau: Taiwanische Volkspartei/台灣民眾黨: 14 / 1,5%
Restliche: Kleinparteien mit weniger als 10 / 2,8%

Verteilung der Stimmen auf Dorfebene nach der Kommunalwahl 2022:

Bei der Wahl der Dorfvorsteher erhielt die KMT gut 1,5 Millionen Stimmen (ca. 14%) und wurde damit die am meisten gewählte Partei. Der Großteil der Stimmen (knapp 9 Mio. bzw 81%) ging wie in den vergangenen drei Wahlen zunehmend an Kandidatinnen und Kandidaten ohne Parteizugehörigkeit. 2010 lag der Anteil der KMT hier noch bei etwas über 28%.

Wahlbeteiligung 2022 insgesamt gesunken

Die Wahlbeteiligung lag 2022 insgesamt bei etwa 60% und fiel damit niedriger aus als 2018. Oftmals gaben weniger als 60% der Wahlberechtigten ihre Stimme ab.

So nahm in einem kleinen Wahlkreis der Stadt Hualien an der Ostküste der Insel lediglich ein Drittel (30,26%) an der Wahl teil. Ebenfalls in einem kleinen Wahlkreis in der Stadt Kaohsiung hingegen waren es 90,8%.

Beide Fälle sind eher extreme Ausnahmen, meist gaben zwischen 55%-65% der Wählerinnen und Wähler ihre Stimme ab.

Interessanterweise wird der Aspekt der geringen Wahlbeteiligung in den taiwanischen Medien kaum bzw. überhaupt nicht thematisiert.

Referendum zum Wahlalter gescheitert

Soll das Wahlalter von 20 auf 18 Jahre gesenkt werden?

Über diese Frage konnte direkt abgestimmt werden. Für eine Änderung wären 9.619.697 (oder 50% aller Wähler-Stimmer) “Ja”-Stimmen nötig gewesen. Rund 5,5 Millionen Wahlberechtigte stimmten für die vorgeschlagene Änderung, während knapp 5 Millionen dagegen waren. Damit scheiterte der Antrag.

Beschwerden gab es hier in der Stadt Taichung in Mitteltaiwan. Dort soll Wählenden der Stimmzettel für das Referendum nicht ausgehändigt worden sein.

Taiwanische Medien berichteten außerdem von einigen Dutzend Fällen, bei denen Wahlzettel mutwillig zerstört oder anderweitig gegen Wahlregeln verstoßen wurde.

Versuche der Einflussnahme durch die VR China

[China] allegedly used disinformation in Taiwan’s local elections in 2018 and continues to deluge the island with disinformation. […] These campaigns use fake news stories, bots and falsified social media accounts, and propaganda, among other tactics, to manipulate and deceive recipients.

Quelle: Council on Foreign Relations

Taiwan News zufolge wurden in einem Wahlkreis in Taipeh eine Kandidatin der KMT und ihr Ehemann angeklagt, weil sie aus der VR China finanzierte und importierte Covid-Schnelltests im Wahlkreis verteilt und damit um Wählerstimmen geworben haben sollen.

In Kaohsiung laufen Ermittlungen gegen den Fernsehsender China VTV Co (中華微視公司) wegen vermeintlicher finanzieller Verbindungen zum Festland und der Verbreitung von Propaganda.

Reaktionen aus Festland-China

Direkt nach den Wahlen fand sich in der Staatspresse nur eine kurze Meldung. In einer Schlagzeile wurde der Rücktritt Tsai Ing-wens vom Parteivorsitz gemeldet.

Die China Daily veröffentlichte wenig später eine Stellungnahme des Sprechers des Büros für Taiwan Angelegenheiten.

Die Ergebnisse der Kommunalwahlen zeigten, dass die öffentliche Meinung auf der Insel mehrheitlich für Frieden, Stabilität und ein gutes Leben sei.

Das Festland wird weiterhin mit der Bevölkerung Taiwans zusammenarbeiten, um eine friedliche und integrierte Entwicklung der Beziehungen zu fördern, zum Wohlergehen der Menschen auf beiden Seiten der Taiwanstraße beizutragen, sich der “taiwanesischen Unabhängigkeit” und ausländischer Einmischung entschieden zu widersetzen und nach glänzenden Aussichten für die Verjüngung der chinesischen Nation zu streben.

“Warum die alten Tricks der DDP nicht mehr funktionieren“ – Kommentar der Global Times vom 28.11.

Die Kommunalwahlen in Taiwan hätten einige Anzeichen einer politischen Entwicklung gezeigt, aber dies sei noch lange nicht das “Ende”.

Wenn wir wirklich über das “Ende” sprechen wollen, dann steht es eigentlich schon fest: Taiwans Zukunft liegt in der vollständigen Wiedervereinigung Chinas, und das Wohlergehen der taiwanesischen Landsleute hängt von der Verjüngung der chinesischen Nation ab.

Kommentar zu den Wahlen in Taiwan

Die Kommunalwahlen zeigen, dass Taiwan eine lebendige Demokratie mit einer vielfältigen politischen Landschaft ist. Regionale und weniger nationale bzw. internationale Themen standen bei den „9 in 1“ Wahlen im Vordergrund.

Die gesunkene Wahlbeteiligung 2022 zeugt allerdings auch von Desinteresse, vielleicht sogar von einer Politikverdrossenheit, wie sie in vielen Demokratien zu beobachten ist. Die Gründe hierfür sind vielfältig und eine Herausforderung für jedes demokratische System.

Und wie im demokratischen Taiwan teilen sich in zahlreichen Demokratien im wesentlichen zwei politische Lager abwechselnd die Macht. Der Stimmverlust des einen und der Zugewinn des anderen Lagers bei diesem Wahlgang sollte daher nicht überbewertet werden.

Die KMT ist und bleibt auch 2022 für viele Menschen in Taiwan die erste Wahl, auf kommunaler wie auf nationaler Ebene.

Nachdem die DDP bereits seit 2016 die Präsidentschaft innehat, wäre es nichts ungewöhnliches, wenn dieses Amt 2024 an die KMT oder TPP ginge.

Präsidentin Tsai Ing-wen ist mit ihrer Wahlkampftaktik, nationale Themen bei einer Kommunalwahl in den Vordergrund zu stellen, gescheitert. Die DDP konnte bei diesen Wahlen keine Zugewinne verzeichnen, im Vergleich zu 2018 verlor ihre Partei Wählerstimmen.

Ungewollt hat sie damit auch dem Narrativ der Kommunistischen Partei in die Hände gespielt.

Die 2019 gegründete TPP wiederum geht neben der KMT als Gewinner aus der Wahl hervor. Sie hat sich als “dritte Kraft” und politische Alternative zwischen den beiden großen Lagern “Blau” und “Grün” etabliert.

Die nächsten Präsidentschaftswahlen stehen 2024 an. Trotz vermeintlicher „blauer Welle“ ist bis dahin noch alles offen.

#52 Präsidentschaftswahl 2020: Taiwan hat gewählt

#52 Präsidentschaftswahl 2020: Taiwan hat gewählt


Quellen:

Central Election Commission

CNA

TheInitium

Taiwan News, Taipei Times


Beitragsbild:

Jack.T, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons

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