#56 Corona „Health Code“-App in China

Health Code Corona-App China

It looks as though Utopia were far closer to us than anyone, only fifteen years ago, could have imagined. Then, I projected it six hundred years into the future. To-day it seems quite possible that the horror might be upon us within a single century.

Aldous Huxley. Aus dem Vorwort zu “Brave New World”, 1946.

„Health Code“ Corona-App in China 

Um die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus Covid-19 einzudämmen, setzen Regierungen weltweit auf moderne Informationstechnologie. Das Mobiltelefon macht die “soziale Kontrolle” rund um den Globus möglich. Corona-Apps sind bereits millionenfach auf den ständigen Begleitern installiert. 

Big Data durch GPS, Funkzellen & Bluetooth

Corona-Apps. Ob in Festland-China, Hongkong, Taiwan, Südkorea, Singapur, Israel oder Österreich – zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus (siehe auch #55) können Staaten mithilfe von Big Data und Algorithmen nachverfolgen, wann sich deren Bürger:innen wie lange wo aufgehalten haben.

#55 Coronavirus/COVID19 – Ausnahmezustand weltweit

Diese datengestützte Kontaktnachverfolgung erfolgt momentan auf dreierlei Wegen:

  • Durch die Auswertung von GPS-Daten. Per GPS-Satellitensystem lassen sich Bewegungsströme auf wenige Meter genau erfassen. (Google nutzt die Technik beispielsweise für Vorhersagen, wie stark besucht Restaurants oder Museen zu einer bestimmten Uhrzeit sind.)
  • Anhand von Funkzellendaten können Bewegungsflüsse analysiert werden. Befindet man sich nicht gerade in einem Funkloch, sind Mobiltelefone permanent über die Sendemastantennen mit dem Netz der Anbieter verbunden.
  • Die Bluetooth-Technologie bietet ebenfalls eine Möglichkeit zur Erfassung von Mobilfunktelefonen im unmittelbaren Umfeld.

Die auf dem einen oder anderem Weg gesammelten Daten dienen dem “contact tracing”, der Identifizierung von Kontaktpersonen mit Erkrankten und dem Nachvollziehen von Bewegungsmustern. Auch lässt sich so überprüfen, ob Quarantänevorschriften eingehalten werden.

Entwicklung der Corona-App in China

Hangzhou in der ostchinesischen Provinz Zhejiang ist der Sitz des Online-Bezahldienstes Alipay, einem Tochterunternehmen der Alibaba-Gruppe. Alipay ist das chinesische Pendant zu Paypal und laut Alibaba Konzern eine „Lifestyle Super-App“.

In Hangzhou wurde die „Health Code-App“ entwickelt und kam dort Mitte Februar 2020 erstmals zum Einsatz. Gleichzeitig entwickelte auch der Technologieriese Tencent aus Shenzhen eine „Health Code“-App. Die App läuft als Mini-Programm auf dem von Tencent entwickeltem Programm WeChat (dem chinesischen Gegenstück zu Facebook, Twitter und Instagram in einem). Alipay und WeChat werden jeweils von etwa einer Milliarde Menschen weltweit genutzt.

Wenig später wurden Versionen der Health Code-App bereits in über 100 chinesischen Städten auf Millionen Smartphones installiert. Eine landesweit einheitliche Corona-App befindet sich derzeit im Entwicklungsstadium.

Wie funktioniert die „Health Code-App“ in China?

Bei der Registrierung fragt die App nach der persönlichen Identifikationssnummer, der Telefonnummer und der Wohnanschrift. Zu den Pflichtangabgen gehören außerdem detaillierte Informationen zu vergangenen Reisen sowie Angaben zum Gesundheitszustand und Vorerkrankungen. Nachdem Nutzer:innen diese Fragen beantwortet und ihre Daten samt Gesichtserkennung übermittelt haben, erscheint auf dem Bildschirm ein QR-Code in grün, gelb oder rot.

  • Grün – keine Einschränkungen
  • Gelb – 7 Tage in häuslicher Quarantäne
  • Rot – 14-tägige Quarantäne und regelmäßiges einloggen in der App

Im chinesischen Alltag kommt die „Health Code-App“ flächendeckend zum Einsatz. Beim Einkauf im Supermarkt, im Restaurant, am Bahnhof, beim Betreten oder Verlassen des Wohnblocks. Überall wird der QR-Code kontrolliert.

Unterstützt wird das System durch hunderte Millionen gesichtserkennender Überwachungskameras und Drohnen. Der Staat greift außerdem auf sämtliche zur Verfügung stehende Daten zurück, z.B. aus den sozialen Netzwerken, auf Fahrkartenkäufe etc. Die Partei darf das.

Und nicht zuletzt reicht der lange Arm der Partei durch die Mobilisierung der Massen im „Volkskrieg“ gegen den Virus auch weit in den analogen Alltag hinein.

Nachbarschaftskomitees blühen wieder auf, kontrollieren Nachbarn, messen die Körpertemperatur und prüfen die Farbe des QR-Codes der Gesundheitsapp.

Dieses Video zeigt die verschiedenen Überwachungsmaßnahmen im chinesischen Alltag:

“Health Code” – Probleme mit der Corona-App in China

  • Lebt man in der Volksrepublik China, hat man keine Wahl. Die Nutzung der „Health Code-App“ basiert nicht auf Freiwilligkeit sondern ist verpflichtend
  • Die jeweilige App sammelt eine Unmenge an Daten. Der Schutz der Daten ist nicht gewährleistet, in manchen Fällen landeten persönliche Daten im Internet
  • Apps verstoßen möglicherweise gegen chinesisches Recht (Cybersecurity Law). Keine Einwilligung zur Datenverarbeitung durch Nutzer:innen, fehlende Transparenz
  • Daten werden auf Rechnern der Zentralregierung gespeichert
  • Ungenauigkeiten und fehlerhafte Einstufungen durch den Algorithmus. Betroffene wissen nicht, an wen sie sich bei Problemen wenden sollen
  • Es fehlt eine landesweit einheitliche Corona-App. Auf WeChat beklagen viele Nutzer:innen, dass sie unsicher seien welche App sie nutzen sollen, wenn sie in verschiedene Regionen des Landes reisen wollen.

Kommentar

Die chinesische Corona-App führt aufgeklärten Augen vor, wie man solch eine Gesundheitsapp nicht unter das Volk bringt. Der damit verbundene Blick auf die rasanten Entwicklungen in China, speziell in Hinblick auf den massiven Ausbau zum modernen Überwachungsstaat mit Big Data, Künstlicher Intelligenz etc., wirft eine Vielzahl an grundlegenden Fragen auf.

Diese Fragen betreffen auch uns direkt und gleichermaßen. Einfache Antworten sind nicht in Sicht.

Denn Regierungen, Privatunternehmen und Interessengruppen treiben die Digitalisierung weiter in ihrem Sinne voran, und viele Bürger:innen teilen freilwillig und oftmals zu unbedarft persönlichste Daten. In Zeiten von TikTok & Co hier einen Mittelweg zu finden gleicht vielleicht einem Kunststück. Dem etwas handfestes entgegenzusetzen, setzt so etwas wie eine “digitale Grundbildung” oder – in amtsdeutsch – einen “digitalen Führerschein” voraus.

China jedenfalls prescht zunehmend selbstsicher voran und setzt nicht nur Europa damit unter Druck. Wie groß dabei die Faszination auch vieler Deutscher für diesen digitalen Leninismus á la China ist, zeigt eine sehenswerte Dokumention in der Ard (siehe unten).

Alternativen zur einer Corona-App wie dem “Health Code” in China gibt es. Und in wenigen Tagen schon wird sich zeigen, wie die deutsche bzw. europäische Antwort “PEPP-PT” aussehen soll. Eine Reihe von Organisationen und Vereinen der Zivilgesellschaft, u.a. der Chaos Computer Club und Digitalcourage, haben hierfür eine gemeinsame Erklärung formuliert:

Staaten müssen beim Einsatz digitaler Überwachungstechnologien zur Bekämpfung von Pandemien die Menschenrechte achten

Sehenswert ist auch dieses Interview mit Edward Snowden und dessen Einschätzungen zu den aktuellen Entwicklungen:

Mehr dazu:

#72 BAT & Co.: Top Ten Internetunternehmen aus China

 

Taz: Viren- statt Datenschutz

Economist: Wie Länder Apps und Daten gegen Corona nutzen

SouthChinaMorningPost: Health Code wird in Peking eingeführt trotz Bedenken

Tagesschau: Überwachung in China

NZZ: China setzt auf Technologie

DRADIO: Erfolgreich gegen Corona in China, Taiwan, Singapur


 

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