#115 China-Politik deutscher Parteien 2024: Europawahlprogramm Bündnis Sarah Wagenknecht

China-Politik Bündnis Sarah Wagenknecht
Screenshot: Europawahlprogramm des BSW

Wir brauchen eine Re-Industrialisierung Europas, die Arbeitsplätze und Wohlstand zurückbringt, statt einer Energie- und Sanktionspolitik, die Europa weiter zurückwirft und dazu führt, dass die Europäer im Großkonflikt zwischen den USA und China zerrieben werden.

Europawahlprogramm des Bündnis Sarah Wagenknecht, S.3.

China-Politik deutscher Parteien 2024: Bündnis Sarah Wagenknecht

Die Partei “Bündnis Sarah Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW) wurde Anfang 2024 von zehn ehemaligen Abgeordneten der Partei Die Linke gegründet. Die großen Themen des BSW finden sich auf der Webseite: „wirtschaftliche Vernunft“, „soziale Gerechtigkeit“, „Frieden“ und „Freiheit“.

Im Sinoskop: China-Politik des Bündnis Sarah Wagenknecht. Der erste Teil dieses Beitrags analysiert Parteipositionen des Europawahlprogramms. Im zweiten folgt ein Blick auf die China-Positionen und Aussagen prominenter Mitglieder des BSW.

Europawahlprogramm des BSW – Positionen zur EU

Der Entwurf des Wahlprogramms zur Europawahl der BSW umfasst 20 Seiten; China wird darin sieben Mal erwähnt.

In der Präambel des Europawahlprogramms findet sich eine der Kernforderungen des BSW: „ein unabhängiges Europa souveräner Demokratien – friedlich und gerecht!“

In dieser Forderung sind bereits die wesentlichen Kritikpunkte an der Europäischen Union enthalten. Für das BSW ist die EU geprägt von Abhängigkeiten, mangelnder Souveränität, ist kriegerisch und ungerecht. Sie stehe für

unzählige nicht eingelöste Versprechen, endlose Sonntagsreden, viele schöne Worte. Und viele Probleme.[1]

Hauptursache dafür sei die Abhängigkeit vom „angelsächsisch geprägten Blackrock-Kapitalismus“, von großen Finanz- und Digitalkonzernen und börsennotierten Unternehmen. Diese müsse „abgelöst“ und durch „politische, wirtschaftspolitische und sicherheitspolitische Eigenständigkeit“ ersetzt werden.

Grundlegende Reformen der EU sollen zu mehr Souveränität führen, womit vor allem die Stärkung des Nationalstaats gemeint ist. Wesentliche Kompetenzen und Entscheidungen sollen wieder verstärkt auf der nationalen Ebene getroffen werden, statt auf dem „Irrweg“ eines supranationalen „Einheitsstaats“.

Eine weitere Kernforderung betrifft Europas Souveränität:

Europa muss eigenständiger Akteur auf der Weltbühne werden, statt Spielball im Konflikt der Großmächte zu sein und sich den Interessen der USA unterzuordnen. Eine multipolare Welt liegt im europäischen Interesse.[2]

“Deutschland First” in einer multipolaren Welt?

Zur Erlangung dieser Eigenständigkeit, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene, werden konkrete Vorschläge und Forderungen genannt. Wie die Forderung nach einer Re-Industrialisierung Europas,

die Arbeitsplätze und Wohlstand zurückbringt, statt einer Energie- und Sanktionspolitik, die Europa weiter zurückwirft und dazu führt, dass die Europäer im Großkonflikt zwischen den USA und China zerrieben werden.[3]

Mehrfach wird im Parteiprogramm davor gewarnt als „Juniorpartner fest an der Seite der USA“ zwischen den beiden konkurrierenden Machtblöcken „zerrieben zu werden“. Als Ausweg brauche die EU

gute Handelsbeziehungen zu beiden Wirtschaftsmächten USA und China sowie mehr und mehr auch Indien. Sollte sie sich zu stark an die USA binden, besteht die Gefahr, mit China den wichtigsten Handelspartner zu verlieren.[4]

Die Volksrepublik China sei nicht nur ein „unentbehrlicher Lieferant von Rohstoffen und Vorprodukten“, sondern auch einer der größten Absatzmärkte.

Sich an dem zunehmenden Handelsstreit und der Blockbildung zwischen USA und China zu beteiligen, hätte für die europäische und globale Wirtschaft gravierende Folgen.[5]

Statt „zwischen die Fronten der beiden Großmächte“ zu geraten, müsse die EU

ihrer geoökonomischen Aufgabe, in diesem Konflikt mäßigend und diplomatisch zu agieren, selbstbewusst gerecht werden.[6]

Das BSW fordert Handelsbeziehungen, die „stabil, gleichberechtigt und fair“ sind und „unsere Versorgung mit Rohstoffen und preiswerter Energie garantieren“. „Ernährungssouveränität“ will sie durch „regionale Wirtschaftskreisläufe mit kurzen Lieferwegen“ herstellen. Freihandelsabkommen wie Mercosur oder TTIP lehnt die Partei ab.

Umwelt-, Klima- und Energiepolitik

Die reale Politik der EU widerspricht dem Anliegen von Klima- und Umweltschutz in vielen Bereichen.[7]

Der „Green New Deal“ und weitere EU-Programme werden als

von Lobbyinteressen geprägt, schlecht durchdacht, schlecht gemacht und klimaschädlich [8]

kritisiert.

Deutschland und der EU wird „industriepolitisches Versagen“ vorgeworfen. Sie trügen die Verantwortung dafür,

dass einst große Industrien, wie die Solarindustrie mit zehntausenden Arbeitsplätzen, Richtung Asien abgewandert sind […]. Innovation und Erzeugung erneuerbarer Energien müssen wieder in Europa stattfinden.[9]

Klimapolitik und Umweltschutz sollen durch technologische Innovationen vorangebracht werden. Klimaschädliche Emissionen im Verkehrssektor will das BSW nicht mit einem „Verbrenner-aus“, sondern „technologieoffen“ reduzieren.

Umwelt-, Klima- und Energiepolitik werden oft in einem Satz erwähnt mit Steuerpolitik, Rüstungspolitik, der Entwicklung neuer Technologien, oder Russland. Zum Beispiel mit der Forderung nach langfristigen Öl- und Gasverträgen mit Russland als „Brückentechnologie“ für die Energiewende.

BSW und Digitalisierung

Europa dürfe nicht länger eine „digitale Kolonie der Vereinigten Staaten“ sein. Das BSW fordert eine

europäische Digitalstrategie, die uns von den US-Datenkraken ebenso unabhängig macht wie von chinesischen IT-Ausrüstern.[10]

BSW, Russland, und der Krieg in der Ukraine

Der Krieg in der Ukraine […] wurde militärisch von Russland begonnen, aber er wäre vom Westen verhinderbar gewesen und hätte längst beendet werden können.[11]

Als ersten Schritt wollen wir, dass der Ukrainekrieg schnellstens mit einem Waffenstillstand und der Aufnahme konstruktiver Friedensverhandlungen beendet wird.[12]

Wir wollen Sanktionen abbauen, den Zugang zu den Rohstoffen und Energieträgern Russlands und Zentralasiens ermöglichen sowie den Ausbau der Überland-Handelswege zu den Wachstumsregionen Asiens offen halten.[13]

Frieden

Das BSW fordert ein friedliches Europa in einer multipolaren Welt, in der sich das politische Machtzentrum „zunehmend nach Asien und in den globalen Süden“ verschiebt. Ziel sei eine neue europäische Friedensordnung, die „längerfristig auch Russland einschließen sollte“. Erreicht werden soll dieses Ziel durch eine verantwortungsvolle Politik der Entspannung, die auf Interessenausgleich und internationale Zusammenarbeit setzt. Auf Kooperation und Diplomatie statt auf „Aufrüstung und militärische Lösungen“. In die Auseinandersetzung zwischen China und den USA um die globale Vorherrschaft dürfe die EU sich nicht hineinziehen lassen,

sondern sollte das europäische Interesse an vielfältigen Handels- und Energiepartnerschaften verfolgen.[14]

Spitzenkandidat des BSW für die Europawahl, Fabio de Masi

Spitzenkandidat des BSW für die Europawahl ist Fabio de Masi, ehemaliges Mitglied von Die Linke, und bekannt für seine Rolle bei der Aufarbeitung verschiedener Finanzskandale (Wirecard, Cum-Ex). In seiner Rede auf dem Gründungsparteitag erwähnt Herr di Masi China ein Mal. Europa brauche eine aktive Industriepolitik, um „wie in den USA oder China in Zukunftstechnologien zu investieren, um die Probleme des 21. Jahrhunderts zu lösen.“

Kommentar zum Europawahlprogramm des Bündnis Sarah Wagenknecht

Das linkskonservative Bündnis Sarah Wagenknecht setzt auf einen starken und souveränen Nationalstaat. Weitere Kernforderungen sind eine Ende der unkontrollierten Migration, Frieden, Abrüstung, Diplomatie. „Als erster Schritt“ soll der Krieg in der Ukraine eingefroren und durch Friedensverhandlungen beendet werden.

Positionen zur Volksrepublik China stehen im Wahlprogramm eher im Hintergrund. Die Rolle Chinas ist die eines unentbehrlichen Handelspartners und Rohstofflieferanten. Indirekt ist das Land zudem Teil des neuen Machtzentrums in Asien und des Globalen Südens.

Der „angelsächsische Blackrock-Kapitalismus“ ist das klare Feindbild und die USA der alleinige Aggressor, der dem Weltfrieden im Wege steht. Gefolgt von einer von Lobbyisten kontrollierten EU und einer deutschen Bundesregierung, die als Juniorpartner der USA fungiert. Beide müssten sich aus diesem Abhängigkeitsverhältnis befreien, Schlüsselwort Souveränität.

In einer multipolaren Welt tendiert das BSW eindeutig in Richtung Osten. Unkritisch, freundlich und partnerschaftlich lesen sich die Positionen gegenüber Russland. Sanktionen und einen Wirtschaftskrieg lehnt die Partei ab, befürwortet stattdessen langfristige Energieverträge. In einer „neuen gesamteuropäischen Friedens- und Sicherheitsordnung“ müsse Russland in unser „gemeinsames Haus Europa“ mit einziehen.

Zweifellos muss Russland Teil einer Friedens- und Sicherheitsordnung sein, nicht nur in Europa. Beim Gedanken an einen Mitbewohner namens Putin haben allerdings nicht nur die direkten WG-Zimmernachbarn in Osteuropa ihre Bedenken.

Tatsächlich sind Sympathie und ideologische Nähe des Bündnis Sarah Wagenknecht – zumindest bei wichtigen Entscheidungsträgern – zu China ähnlich groß wie zu Russland. Im nächsten Teil geht es um das Verhältnis des Spitzenpersonals zur Volksrepublik China und der herrschenden Kommunistischen Partei.

#116 China-Politik deutscher Parteien 2024: Bündnis Sarah Wagenknecht

Weitere Beiträge zur China-Politik deutscher Parteien hier.


Quellen

[1] Europawahlprogramm des BSW, S.1, https://bsw-vg.de/programm/europawahlprogramm-2024/.
[2] ibid., S.3.
[3] ibid., S.3.
[4] ibid., S.11.
[5] ibid., S.11.
[6] ibid., S.11.
[7] ibid., S.8.
[8] ibid., S.8.
[9] ibid., S.10.
[10] ibid., S.3.
[11] ibid., S.17.
[12] ibid., S.3.
[13] ibid., S.3.
[14] ibid., S.15.

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