#116 China-Politik deutscher Parteien 2024: Bündnis Sarah Wagenknecht

Bündnis Sarah Wagenknecht China
Sarah Wagenknecht und Sevim Dağdelen, 2011. Fraktion DIE LINKE im Bundestag, CC BY 2.0 , via Wikimedia Commons

Die militärische Expansions- und Konfrontationspolitik des Westens gegenüber China birgt ein enormes Eskalationspotenzial. […] Was die Aufrüstung Deutschlands in Europa gegen Russland ist, spiegelt sich in der Aufrüstung Japans gegen China auf Drängen der USA wider. In beiden Ländern scheint bei den Eliten eine gewisse Geschichtsvergessenheit um sich zu greifen.

Sevim Dağdelen, Global Times, 14.02.2023.[1]

China-Politik deutscher Parteien 2024: Bündnis Sarah Wagenknecht

Zweiter Beitrag über die China-Politik des Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW). Mit einer Analyse zum Verhältnis der Partei zur Volksrepublik China und der herrschenden Kommunistischen Partei Chinas.

#115 China-Politik deutscher Parteien 2024: Europawahlprogramm Bündnis Sarah Wagenknecht

Im Sinoskop: China-Positionen und Standpunkte zweier prominenter Mitglieder des BSW – Sarah Wagenknecht und Sevim Dağdelen.

Mit Sarah Wagenknecht von China lernen

In ihrem jüngsten Buch „Die Selbstgerechten: Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“ (2021) finden sich am Ende einige wenige Erwähnungen zu China. Frau Wagenknecht lobt das chinesische Entwicklungsmodell und die nationale Industriepolitik des Landes. China habe von der „jüngsten Globalisierung“ profitiert, indem es den „westlichen Spielregeln – Freihandel, freier Kapitalverkehr, Rückzug des Staates aus der Wirtschaft“ nicht folgte, sondern „nach eigenen Regeln gespielt“ habe.

In westlichen Ländern habe die Deindustrialiserung zum Verlust von Millionen von Arbeitsplätzen geführt,

deren Inhaber in die Arbeitslosigkeit oder in lausig bezahlte Jobs im Servicesektor abgedrängt wurden.[2]

China hingegen sei längst nicht mehr nur Produzent von Billigwaren, sondern „hat in Hightech-Branchen Weltniveau erreicht“. Das Einkommen der Stadtbewohner sei „kaufkraftbereinigt mittlerweile ein höheres“ als in Rumänien, Lettland oder Litauen.

Es gehe ihr nicht darum, das chinesische Modell „zu glorifizieren“. Aber, anstatt sich „unseren Regeln der Globalisierung zu unterwerfen“ habe die Volksrepublik,

einen eigenständigen Weg gefunden, dank dem das Wachstum schneller verlief und mehr Menschen zugutekam als in jedem anderen Land. [3]

Wagenknechts Wochenschau

In ihrer Wochenschau auf Youtube und in den sozialen Medien (Randnotiz: alle zum Datenkrakenimperium des amerikanischen digitalen „Kolonialherren“ gehörend) finden sich zwei Beiträge mit China-Bezug.

In Habeck zündelt an den Handelsbeziehungen zu China argumentiert Frau Wagenknecht: Werden Exporte erschwert, dann verlagern Unternehmen ihre Produktion noch mehr in das Reich der Mitte. Und schlussfolgert: „Wirtschaftskrieg gegen China – wie kann man nur so irre sein?“

In Make America Great Again – wie US-Handelskriege und Sanktionen uns ruinieren äußert sie sich indirekt zur Volksrepublik China:

Kritische Infrastruktur vor dem Einfluss uns nicht unbedingt wohlgesonnener ausländischer Mächte zu schützen, da bin ich auch dafür, sehr dafür sogar.

Europa müsse seine Souveränität verteidigen und daher fordert sie,

endlich anfangen auch mal über den Schutz unserer kritischen Infrastruktur im Bereich Finanzen und Digitalwirtschaft, die nahezu komplett von US-Unternehmen kontrolliert wird, nachzudenken.

Das Video von Mitte November 2022 enthält noch eine Rarität: eine China-kritische Äußerung Frau Wagenknechts:

Natürlich ist das chinesische System eine brutale Diktatur. Natürlich ist die aktuelle Zero-Covid Politik menschenverachtend.

Randnotiz: Ende November 2022 kam es in zahlreichen chinesischen Großstädten zu Demonstrationen gegen die drakonische Null-Covid Politik der Zentralregierung in Peking. Die „White Paper“-Bewegung (白纸活动) mit ihrem Druck von unten war erfolgreich. Anfang Dezember verkündete die chinesische Regierung nach fast drei Jahren das abrupte Ende sämtlicher Maßnahmen.

Aufzeichnung vom 11.11.2022.

Schattendiplomatin“ Sevim Dağdelen und China

Bis zur ihrem Parteiaustritt und Wechsel zum BSW Ende 2023 war Frau Dağdelen über Jahre Mitglied und Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke. Ein Schwerpunkt ihrer politischen Tätigkeit sind außenpolitische Themen. In einer Spiegel-Reportage über Frau Dağdelen vom Januar (Titel: „Die Schattendiplomatin“) erfährt man, sie habe erst 2018 während ihrer ersten Reise nach China gemerkt, „was sie verpasst hatte.“[4]

Zuletzt reiste sie im Mai 2023 auf Einladung des Nationalen Volkskongresses in die Volksrepublik China. Nicht ohne Stolz veröffentlichte sie auf X ein Bild von sich aus dem Herzen Pekings und schrieb, als „erster ausländischer Gast nach der Pandemie offiziell in der Großen Halle des Volkes in Beijing empfangen zu werden.”[5]

In insgesamt 17 bebilderten Tweets dokumentiert Frau Dağdelen ihre China-Reise. Peking, Chengdu, Shanghai – in kurzer Zeit und über tausende Kilometer hinweg folgte ein Termin auf den anderen. Treffen mit hochrangigen Vertretern der Kommunistischen Partei, Besuch einer Panda-Aufzuchtstation, Besuche deutsch-chinesischer Industrieparks, Redevorträge an Universitäten. Tweet Nr.17, „Mein Resümee“:

Die Ampel-Regierung sollte aufhören zu glauben, China in neokolonialer Attitüde Vorgaben machen zu können. Es braucht gegenseitigen Respekt – für Beziehungen, Dialog und Kooperation.[6]

Rede in der Uni Shanghai für „Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit“

An der Shanghai International Studies University (SISU) hielt Frau Dağdelen einen Gastvortrag zu den deutsch-chinesischen Beziehungen in Zeiten des „Stellvertreterkriegs der NATO in der Ukraine“ und des „immer weiter eskalierenden westlichen Sanktionsgebarens“. Die Rede findet sich auf ihrer Webseite mit dem Hinweis, dass diese von den Nachdenkseiten im Wortlaut dokumentiert wurde.[7]

Zu Beginn ihrer Rede spricht sie von internationalem Austausch, gegenseitigem Verständnis und friedlicher Kooperation. In Zeiten

zunehmender geopolitischer Spannungen und konfrontativer Politikentwürfe, in denen Intoleranz und das Denken in Freund-Feind-Schemata das Primat der Diplomatie zu erodieren drohen,

seien diese von „herausragender globaler Bedeutung“. Womit es direkt zu ausgiebiger Kritik am „Stellvertreterkrieg“ und „Wirtschaftskrieg“ der USA, der NATO und ihrer Verbündeten gegen Russland geht. Sie fragt, was Wirtschaftssanktionen gegen Russland mit den deutsch-chinesischen Beziehungen zu tun haben und

inwiefern fördern sie nach einem mephistophelischen Prinzip eine Zeitenwende und eine Emanzipation des globalen Südens?

Eine Antwort liegt für Frau Dağdelen auf der Hand: die Wirtschaftssanktionen sind gescheitert und schaden Deutschland mehr als Russland. Inflation, Deindustrialisierung, Rezession und Wohlstandsverluste sind die Folgen. Da der „durchschlagende Erfolg im Wirtschaftskrieg bisher ausblieb“, würden die Sanktionen ausgeweitet. „Und hier kommt China ins Spiel“. Denn das 11. Sanktionspaket der EU richte sich auch gegen chinesische Firmen, „die nach Russland von der EU aus liefern“.

Sie warnt, dass ein Wirtschaftskrieg gegen China „für die deutsche Bevölkerung noch weit verheerender wäre als die Sanktionen gegen Russland.“ Als Beispiel nennt sie die deutsche Automobilindustrie, die solch ein Szenario „wohl nicht überleben“ würde. Deshalb zögere die Bundesregierung wohl noch,

sich zur Vorhut dieser europäischen Kamikaze-Aktion zu machen.

Sie lobt das Potenzial der deutsch-chinesischen Beziehungen. China sei ein Vorbild, von dem Deutschland lernen könne. Zum Beispiel bei der Lese- und Rechtschreibkompetenz für Grundschüler. Allerdings stehe diesem fruchtbaren bilateralen Austausch ein „Haupthindernis“ im Weg: die mangelnde Souveränität der Bundesrepublik Deutschland. Dieses „Vasallenverhältnis Deutschlands gegenüber den USA und vor allem den USA-Konzernen“ erinnere sie an die Situation in Lateinamerika in den 1970er Jahren,

bei der eine Kompradoren-Bourgoisie die Interessen von US-Konzernen durchsetzt.

Diese „Zusammenballung wirtschaftlicher Macht“ wirke sich auf politische Entscheidungen in Deutschland aus, auch in der Wissenschaft. Die Themen „Vasallenverhältnis“ und NATO seien ein „weites Feld für wissenschaftliche Untersuchungen“. Sie habe jedoch

wenig Hoffnung, dass diese wissenschaftliche Arbeit an deutschen Hochschulen geleistet werden könnte – wir haben dort nicht einen NATO-kritischen Wissenschaftler.

Sei man um die Zukunft der deutsch-chinesischen Beziehungen besorgt, müsse man hier „ansetzen“ und „ausloten“,

wie der Einfluss eines Dritten, der kein Interesse an einem Blühen dieser Beziehungen hat, zurückgedrängt werden kann.

Auf Frau Dağdelen Webseite findet sich außerdem der englischsprachige Text einer weiteren, längeren Rede an der Beijing-University mit ähnlichem Kontext. Titel: „A multipolar world in the making“. Würde der Wirtschaftskrieg der USA und EU gegen Russland auf China ausgeweitet, warnt sie, käme dies einer vom Westen ausgehenden „De-Globalisierung“ gleich.

Im Gespräch mit „China unlocked“

Während ihres Aufenthalts in China fand sich auch Zeit für ein Interview mit den Staatsmedien. Das gut fünfzehnminütige Video des Formats „China unlocked“ wurde auf China Daily veröffentlicht. Im Exklusivinterview stellt sich Frau Dağdelen den Fragen einer Journalistin und eines Journalisten zu den „Spannungen zwischen den USA und China“, die „Notwendigkeit des Friedens in der Ukraine“ und „gegensätzliche Ansichten Chinas und des Westens“ beim Thema Menschenrechte. Nachfolgend ein paar Höhepunkte des Gesprächs.

Grundsätzlich bescheinigt Frau Dağdelen den politischen Entscheidungsträgern in Deutschland ein „fehlendes Verständnis“ über bzw. für China. Auf die Frage, wie sie die Kommunistische Partei sehe, stellt sie fest dass es „ein großes Informationsdefizit über China und die KP“ gebe.
Politiker in Deutschland „wissen nichts über China aber haben eine Meinung über China.“ Sie hätten „keine Fakten, nur Meinung“.

Warum könne Deutschland keine unabhängige Außenpolitik haben? „Gute Frage“, antwortet Frau Dağdelen.

Beim Thema Menschenrechte wiederholt Frau Dağdelen das Argument von 800 Millionen Menschen, welche von der KP aus der Armut befreit wurden. Gefolgt vom Argument der „mindestens 3000 Jahre alten chinesischen Kultur“. Westliche liberale Konzepte von Menschenrechten hingegen seien „erst 200 oder 300 Jahre alt“. Wie „könne man da sagen, unsere seien besser als eure?“.

Wie bei jeder Frage und jeder Antwort lächeln und nicken die beiden Fragesteller, es herrschen Einigkeit und Harmonie.

Warum stünden Deutschland und die EU auf der Seite der USA? Zum Beispiel wenn es um den Vorwurf gehe, China unterstütze Russland. „Warum diese haltlosen Anschuldigungen ohne Beweise?“ Antwort: Grund sei eine „Anti-chinesische Hysterie im Westen“, hinter der die USA steckten. Auch die G7 seien „aggressiv gegenüber China“. Das 11. Sanktionspaket der EU richte sich auch gegen chinesische Firmen und sei ein „Verstoß gegen internationales Recht und der Anfang eines Kriegs“. Bei der Frage nach dem Grund für die Aggression der NATO und den Krieg in der Ukraine gefragt, ist die Antwort für Frau Dağdelen klar: „die Osterweiterung der NATO“ und das rücksichtslose Expansionsstreben der NATO bis in den Pazifik.

Während Deutschland wegen des „Stellvertreterkriegs der NATO“ und der Sanktionen gegen Russland „ausblute“, profitierten US-Firmen von der deutschen „Deindustrialisierung“ mit einem „jahrelangen Wettbewerbsvorteil“. Deutschland sei Teil „der Zerstörung von Natur und Infrastruktur in der Ukraine“, sagt Dağdelen. Deutschland und die EU sollten eine Vermittlerrolle einnehmen und „nicht auf der Seite der USA stehen“.

Die Fragesteller stellen fest, „der Westen mag scheinbar keine Friedensgespräche. Warum mögen sie Chinas Friedensplan nicht?“ Die Schattendiplomatin antwortet, manche westliche Staaten hätten kein Interesse am Ende des Kriegs und dass der Dritte Weltkrieg drohe. Währenddessen werden Bilder des republikanischen US-Senators Graham in Kiew eingeblendet.

Randnotiz: Lindsey Graham wurde 2023 vom russischen Staat wegen angeblicher russophober Äußerungen zur Fahndung ausgeschrieben und im Februar in die Liste „Terroristen und Extremisten“ aufgenommen.[8]

Die Fragesteller merken abschließend an, die USA hätten weltweit 800 Militärbasen, China nur eine. Man brauche eben einen Feind, bestätigt Frau Dağdelen. Die Hegemonie der USA befinde sich jedoch „im Niedergang“. Mit den BRICS und dem Aufstieg Chinas und des Globalen Südens entstehe eine multipolare Welt. Dies müsse aber „kein Verlust für die USA sein“. Im Gegenteil, Kooperation könne schließlich auch „Win-Win“ sein.

Von China lernen mit Sevim Dağdelen

Nach ihrer Rückkehr aus der Volksrepublik veröffentlichte die Berliner Zeitung Ende Juni einen ausführlichen Artikel,  in dem Frau Dağdelen, ausführlich von ihrer China-Reise berichtet.[9] Sie sei „voller Respekt“ heißt es direkt im ersten Satz des Artikels:

Was mich am meisten beindruckt [sic] hat, war die Klugheit meiner Gesprächspartner.

Während ihrer Reise habe sie niemanden erlebt, der auf Konfrontation mit dem Westen setze. China wolle „Austausch und Zusammenarbeit“, so Dağdelen. Dies würde jedoch durch „China-Bashing“ des Westens erschwert, nicht nur Professoren und Studenten seien „irritiert“.

Um diese „Irritationen auch auf der höchsten politischen Ebene“, also zwischen den USA und China, zu untermauern, wechselt der Artikel von Dağdelens China-Reise auf die Ebene der Geopolitik. Im Tandem mit Zhou Bo, einem „führenden Militärexperten Chinas“, propagiert der Artikel Argumente der beiden für den „Niedergang des Westens“, eine „enge Achse“ Deutschlands mit China und das „aggressive Verhalten“ der USA.

Das Fehlen einer „eigenständigen Außenpolitik“ in Deutschland und der EU sei für Peking „eine Gratwanderung“ und „irritierend“, meint Dağdelen. Für China sei es „kompliziert“

einerseits bilateral, andererseits auf EU-Ebene verhandeln zu müssen.

China jedenfalls sei daran „interessiert, dass Europa eine souveräne, eigenständige Außenpolitik“ habe.

Frau Dağdelen lobt Chinas internationale Rolle, als Fürsprecherin des Globalen Süden und im BRICS Bündnis. Einen „guten Eindruck“ habe sie auch von der New Development Bank mit Sitz in Shanghai. Die BRICS -Bank stehe für

Entwicklung und Emanzipation des globalen Südens. Die New Development Bank zeigt der Welt, wie Kooperation untereinander in solidarischer Weise organisiert werden kann.

Der Artikel endet mit einem weiteren Zitat von „Oberst Zhou“. Der Forderung, China müsse „Partei ergreifen und seinen Einfluss auf den russischen Präsidenten Putin geltend machen“, erteilt der eine klar Absage, denn

dieser Krieg habe „nichts mit China zu tun“.

Kommentar zur China-Politik des BSW

Demokratische Systeme sind nie perfekt oder fertig, sondern stets reformbedürftig. Sie müssen auf sich wandelnde innere und äußere Entwicklungen und Herausforderungen reagieren. In einer parlamentarischen Demokratie hat das BSW als Oppositionspartei die Aufgabe, auf Missstände hinzuweisen und konstruktiv an der Verbesserung von Rahmenbedingungen mitzuwirken.

Das BSW übt laute Kapitalismus- und Demokratiekritik an den USA, der EU, der Bundesregierung. Kritik an einer neoliberalen Wirtschaftsordnung, die Wachstum und Profite über das Wohlergehen von Mensch und Umwelt stellt und zu wachsender Ungleichheit führt, ist berechtigt, wichtig und notwendig. Gleiches gilt für Kritik an den USA als global agierende Supermacht, lang ist die Liste an Missständen und Verfehlungen. Ob völkerrechtswidrige Angriffskriege im Namen der Demokratie oder eine jahrzehntelang gescheiterte Entwicklungspolitik, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Kritische Aussagen zur Volksrepublik China (und Russland) hingegen finden sich kaum bis überhaupt nicht. Im Gegenteil, Chinas Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell wird als erstrebenswerte, wenn nicht sogar bessere, Alternative angesehen. Deutschland könne in vielen Bereichen von China lernen. Für die Regierenden in Peking sind solche „Schwestern im Geiste“ ein Gewinn bei der Verwirklichung der eigenen Ziele. An der Tatsache, dass die Volksrepublik China ein autoritärer, leninistischer Ein-Parteien-Staat ist, scheinen sich weder Frau Wagenknecht noch Frau Dağdelen zu stören.

Erstere preist das chinesische Wachstumsmodell und läßt dabei den hohen sozialen und ökologischen Preis des rasanten Wachstums der letzten Jahrzehnte außer Acht. Letztere äußert sich voller Bewunderung für das politische System. Manche Äußerungen, z.B. im Videointerview, sind dabei deckungsgleich mit der offiziellen Propaganda der KP. Dazu zählen

  • die Definition der Menschenrechte mit einem Fokus auf wirtschaftliche Rechte,
  • das fehlende China-Verständnis im Westen,
  • Narrative von „chinesischer Weisheit“, Kooperation und „Win-Win“ Partnerschaften,
  • das Feindbild USA,
  • das Beispiel des chinesischen Grundschulsystems, von dem Deutschland lernen könne.

Dass Schülerinnen und Schüler in der Volksrepublik China von klein auf unter enormen und permanentem Wettbewerbs- und Leistungsdruck stehen, scheint keine Rolle zu spielen. Dass Lernen mehr auf Auswendiglernen und Drill basiert und weniger auf dem Fördern von Individualität, Kreativität und kritischem Denken, auch nicht. Und dass Bürgerinnen und Bürgern in der Volksrepublik China im Alltag basale demokratische Grundrechte (Wahlrecht, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit) vorenthalten werden, ist offenbar ebenfalls nicht kritikwürdig.

Die Liste an Missständen und Verwerfungen, die einer sachlichen und kritischen Betrachtung würdig sind, läßt sich weiterführen:

  • Weitreichende Überwachung und Zensur,
  • eine extrem ungleiche Verteilung des Wohlstands und extreme soziale Ungleichheit zwischen Stadt- und Landbevölkerung,
  • oftmals ausbeuterische und unsoziale Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt, Stichwort „996“ (von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends, sechs Tage die Woche).

Weitere Schlagwörter sind Minderheitenpolitik, Sinisierung, Nationalismus, oder militärische Aufrüstung. Und nicht zuletzt Chinas Handeln auf der internationalen Ebene.

Ein allzu einseitiges China-Bild

Eine Auseinandersetzung des BSW mit diesen Themen konnte ich nicht finden. So entsteht ein recht einseitiges Weltbild, in dem der „Westen“ böse und China gut ist.

Wie so oft liegt die Wahrheit in der Mitte. Ob die Parole aber „America First“ oder „China Dream“ lautet, letztlich verfolgt jeder Staat und jede Großmacht, jede herrschende Klasse, die eigenen Interessen. Auch sind Hegemonialstreben und imperiale Ambitionen kein alleiniges Monopol der USA. Beispiele aus der Geschichte und der Gegenwart zeigen, dass kein Preis zu hoch scheint, wenn es um das Vermehren von Einfluss und um den Erhalt von Macht geht. Dies schließt Menschenleben und die Zerstörung des Planeten mit ein. Leider weltweit.

Eine Kernforderung des BSW lautet Souveränität für Deutschland (wie übrigens der AfD auch). Hier stellt sich unter anderem die Frage, was für eine politische Agenda das BSW letztlich für das Land anstrebt. Und in welchem Verhältnis Staat und Gesellschaft zueinander stehen sollen. Bei manchen Aussagen entsteht der Eindruck, das Ziel dieser Agenda entspricht weniger freiheitlich-demokratischen Grundsätzen, sondern ähnelt eher der Ideologie einer zentralistischen und autoritären Regierungsform.

Mehr Beiträge zur China-Politik deutscher Parteien hier.


Quellen

[1] https://www.globaltimes.cn/page/202302/1285454.shtml.
[2] Wagenknecht, S. (2022). Die Selbstgerechten: Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt. Germany: Campus Verlag, S.374.

[3] ibid., S.374.
[4] Die Schattendiplomatin, Der Spiegel, Nr.5/27.01.2024. 
[5] https://x.com/SevimDagdelen/status/1671159330467643401?s=20.
[6] https://x.com/SevimDagdelen/status/1666404139872534528?s=20.
[7] www.sevimDagdelen.de/gastvortrag-an-der-universitaet-in-shanghai-fuer-freiheit-frieden-und-gerechtigkeit/.
[8] https://www.theguardian.com/us-news/2024/feb/20/lindsey-graham-added-russia-terrorists-extremists-list.
[9] https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/geopolitik-deutschland-droht-der-industrielle-abstieg-mit-enormen-sozialen-verwerfungen-li.362405.

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