#107 Weltkriegsszenario “2034” – Rivalität der USA und China

When empires overreach, that’s when they crumble.

Elliot Ackerman, 2034: A Novel of the Next World War

“2034” USA und China Weltkriegsszenario

Der aktuelle Weltfriedens-Index (Global Peace Index) der Denkfabrik Institute for Economics and Peace (IEP) macht auf eine negative Entwicklung aufmerksam: 2022 war die Welt zum neunten Mal in Folge weniger friedlich; weltweit steigt die Intensität der kriegerischen Auseinandersetzungen.

Mit Blick auf die Spannungen in der Taiwan-Strasse ergibt eine konservative Schätzung das IEP, dass eine chinesische Blockade Taiwans zu einem Rückgang der weltweiten Wirtschaftsleistung um 2,7 Billionen USD im ersten Jahr führen würde. Allein die Folgen für die Weltwirtschaft wären demnach doppelt so verheerend wie nach der Finanzkrise 2008.

Die nicht nur wegen der weltweit zunehmenden Rekordtemperaturen aufgeheizte und konfrontative Stimmung rund um den Globus läßt sich auch tagtäglich in der Medienberichterstattung verfolgen:

Ex-Kremlchef Dmitri Medwedew brachte die “Vernichtung” der Kabelverbindung zwischen Europa und den USA als mögliche Vergeltung für die Sprengungen an den Nord-Stream-Pipelines ins Gespräch, berichtete die Dpa am 14 Juni. Am selben Tag beriet die NATO über das nukleare Abschreckungspotential des Bündnisses. Das Friedensforschungsinstituts SIPRI stellt auch dieses Jahr statt Abrüstung wieder eine Tendenz zur weltweiten militärischen Aufrüstung fest, auch mit nuklearen Waffen.

Krieg oder Frieden? Vor allem das Verhältnis zwischen der USA und China ist hier entscheidend. Dieses ist allerdings belastet und von zahlreichen Spannungen geprägt. Die umstrittene Indo-Pazifik-Region steht hier besonders im Mittelpunkt. Dort wird ein militärischer Konflikt der Großmächte von vielen Experten, Beobachtern und Kommentatoren als unausweichlich und lediglich als Frage der Zeit gesehen.

Brennpunkt Südchinesisches Meer

Im südchinesischen Meer kommt es, meist zwischen chinesischer und amerikanischer Seite, in einer gewissen Regelmäßigkeit zu immer neuen Provokationen und kleineren Zwischenfällen.

Anfang Juni näherte sich ein chinesisches Kriegsschiff in der Taiwan-Strasse einem US-Zerstörer bis auf weniger als 140 Meter (FAZ 12.06.). Ein ähnliches Manöver vollzog ein chinesisches Kampfflugzeug im südchinesischen Meer, als es sich Ende Mai einem amerikanischen Flieger näherte.

Auch auf politischer Ebene ist der „Schlagabtausch“ Anfang Juni zwischen dem amerikanischem Verteidigungsminister Llyod und seinem chinesischen Amtskollegen Li auf dem Shangri-La-Forum, einer Sicherheitskonferenz in Singapur, ein weiterer Beleg für das äußerst schlechte Verhältnis zwischen den USA und China. Die „Ballon-Affäre“ im Februar diesen Jahres markierte den aktuellen Tiefpunkt in den Beziehungen und ließ die geplante China-Reise des amerikanischen Außenministers Blinken vorerst platzen.

#99 USA-China und die “Ballonaffäre”

Der Peking-Besuch Herr Blinkens wurde zwar inzwischen nachgeholt (der erste eines US-Außenministers seit 2018), brachte aber keine konkreten Vereinbarungen zur Entspannung der sino-amerikanischen Rivalität. Zwar betonten beide Seiten erneut die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung offener Kommunikationskanäle, um das Risiko von Fehleinschätzungen und Fehlkalkulationen zu verringern. Die chinesische Seite lehnt die Einrichtung einer “Krisen-Hotline” für die Militärs beider Länder laut US-Regierung jedoch weiterhin ab.

Im aktuellen Klima des Mißtrauens möchte keine der beiden Seiten Schwäche zeigen. Zumindest hat man vereinbart, im Gespräch bleiben zu wollen und es wurden weiterhin hochrangige Treffen vereinbart. Was immerhin besser ist als Funkstille.

Rivalität zwischen den USA und China und die Falle des Thukydides

Der Harvard-Professor Graham Allison veröffentlichte 2017 das Buch „Destined for War – Can America and China Escape Thucydides’s Trap?“, in dem er in 16 Beispielen aus der Geschichte die besondere Konfliktsituation zwischen einem aufstrebenden Staat und der bisherigen Hegemonialmacht aufzeigt. Bis auf wenige Ausnahmen endeten die Konflikte stets in kriegerischen Auseinandersetzungen. Nach der Theorie von der Falle des Thukydides führt das Ringen zwischen etablierter und aufstrebender Großmacht um die Vormachtstellung nahezu unvermeidbar zum Krieg. Ein Verlauf, der vielen Beobachtern und Medien zufolge auch in der Auseinandersetzung zwischen China und den USA als wahrscheinlich gilt. Kritische Stimmen warnen vor einer “selbsterfüllenden Prophezeihung”.

Herr Allison zur Falle des Thukydides im April 2022 auf einer Veranstaltung des International Institute for Strategic Studies:

 

Droht uns im frühen 21. Jahrhundert der Krieg zwischen der bisherigen Hegemonialmacht USA und der aufstrebenden Volksrepublik China? Wie könnte solch ein Weltkriegsszenario aussehen?

Weltkriegsszenario „2034“ – USA und China im Krieg

Im 2021 veröffentlichten Roman „2034“ der ex-Militärs Elliot Ackermann und James Stavridis sind die USA sozusagen in die Falle des Thukydides getappt. Im Jahr 2034 haben die Spannungen zwischen den USA und China nicht abgenommen, sondern der lange schwelende Konflikt eskaliert. Als Leser begleitet man von Mitte März bis Ende Juli 2034 die Schicksale einer Handvoll Charaktere, die entweder dem Militär oder der Regierung angehören. Oder beidem.

In “2034”, einem „Roman über den nächsten Weltkrieg” ist ein “Zwischenfall” im südchinesischen Meer unweit der Spratly-Inseln Auslöser für einen militärischen Konflikt zwischen den USA und China. Letztere betrachten die Gewässer bekanntermaßen nicht als international, sondern als national, und wollen die Präsenz der Amerikaner samt derer “Freedom of Navigation”-Missionen beendet sehen.

Im Jahr 2034 sieht die KP Chinas die Zeit dafür reif und schafft Tatsachen. Katastrophale Entwicklungen sind die Folge. Offensichtliche Schwächen des US-Militärs und Fehlentscheidungen führen zu deren militärischer Niederlage gegen eine in vielen Bereichen überlegene Volksbefreiungsarmee. Eine Reihe von Entscheidungen verschiedener Akteure, die der Deeskalation dienen sollen, bewirken das Gegenteil und führen zu einer Situation, die sich verselbstständigt und außer Kontrolle gerät. In der Folge kommen Millionen Menschen ums Leben. In den USA, in China und in anderen Teilen der Welt.

Bestandteile der Eskalationsspirale: Einsatz des Militärs und von Atomwaffen, Zerstörung kritischer Infrastruktur, Cyberangriffe. Auf Erstschlag folgt Gegenschlag folgt Gegenschlag.

“2034” kein Anti-Kriegs-Roman

Der Roman ist einfach geschrieben und lässt sich schnell lesen. Genauso schnell vergisst man „2034“ dann wahrscheinlich auch leider wieder, denn er ist dann doch etwas oberflächlich geschrieben und den Charakteren fehlt es an Tiefe. Sie sind letztlich allesamt Befehlsausführende innerhalb ihrer jeweiligen Hierarchien. Kleine Rädchen in Maschinerien, ohne viel Raum für individuelle Zweifel. Globale Zusammenhänge oder Themen wie innere Krisen und die Zerrissenheit der USA werden teilweise skizziert (die amtierende US-Präsidentin ist parteilos).

Interessant ist auch, dass im Weltkriegsszenario von “2034” weder Europa noch die NATO auch nur die geringste Rolle spielen. Entscheidungen von Tragweite werden von anderen Akteuren getroffen und globale Machtgefüge verschieben sich weiter. In “2034” sind die USA längst nicht mehr die unangefochtene Supermacht.

Mehr Details zur Handlung gibt es an dieser Stelle nicht, um möglichen Leserinnen und Lesern nicht zu viel vorwegzunehmen.

Der Roman “2034” ist kein Anti-Kriegs-Roman. Vielleicht lässt er sich am ehesten als eine an Entscheidungsträger in der amerikanischen Politik gerichtete Warnung lesen, die militärischen Fähigkeiten des Landes nicht zu vernachlässigen.

“2034” lässt sich auch als Warnung vor Krieg an sich verstehen: Ein vermeintlich “kleiner” Zwischenfall kann Entwicklungen in Gang setzen, die sich kaum mehr kontrollieren lassen. Kriegslogik bestimmt. Und auch wenn sich manches sogenannte Schwellenland am Ende des Romans als lachender Dritter sehen könnte, sind Millionen Tote ein zu hoher Preis.

Die zu Beginn dieses Beitags erwähnten Entwicklungen zeigen, dass die Welt im frühen 21. Jahrhundert einem Pulverfass mit hoher Explosionsgefahr gleicht. Die Falle des Thukidides ist dennoch kein in Stein gemeißeltes Gesetz, sondern, wie Entscheidungen über Krieg und Frieden auch, menschengemacht. Ein wie in “2034” beschriebes Weltkriegsszenario kann und muss vermieden werden.


Siehe auch:

#33 Viel Krieg und wenig Frieden – globales Wettrüsten & China

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