#124 „Vision 2050“ – Die Mongolei nach der Parlamentswahl 2024

Mongolei Parlamentswahlen 2024
Bright Future Or No Future? Großer Staatskhural in Ulaanbaatar, Mongolei, Juli 2024. Eigene Aufnahme

Mehr als 30 Jahre sind vergangen, seit die Mongolei zu einem demokratischen parlamentarischen System übergegangen ist. Die Regierung hat neue 30 Jahre begonnen, um die Fehler der vergangenen 30 Jahre seit ihrer Gründung zu korrigieren. … Die entwicklungspolitische Planung ist seit 1990 unstabil. Außerdem wurden zahlreiche Projekte mitten im Prozess gestoppt. Viele Bürger waren nicht in der Lage, sich vertreten zu lassen. Das Parlament sollte das Volk vertreten.

Premierminister und Vorsitzender der MVP, Luvsannamsrai Oyun-Erdene, Juli 2024.

Die Mongolei nach der Parlamentswahl 2024

(zuletzt aktualisiert am 23.08.2024)

Am 28. Juni wählten knapp 1,5 Millionen Wahlberechtigte der rund 3,5 Millionen Einwohner der Mongolei ein neues Parlament, den Großen Staatskhural.

Mit der Protestbewegung von 1989 gelang ein friedlicher Übergang des Landes von einem kommunistisch regierten Einparteienstaat (die damalige Mongolische Revolutionäre Volkspartei und heutige Mongolische Volkspartei MVP war gut 70 Jahre lang an der Macht) zu einer parlamentarischen Demokratie. Seit 1990 kann das mongolische Volk seine politischen Vertreter selbst wählen. Es war die neunte Parlamentswahl in der Mongolei seit der Einführung einer demokratischen Verfassung 1992.

Die etwas über drei Jahrzehnte alte Demokratie in der Mongolei ist gekennzeichnet durch ein stabil instabiles politisches System.

Fast zwanzig Premierminister in 30 Jahren verdeutlichen dies. In diesem System wechseln Rahmenbedingungen wie Spitzenpersonal sehr häufig, wobei der Kreis der Entscheidungsträger über die Jahre konstant geblieben ist. Diese entstammen den beiden großen Parteien MVP und Demokratische Partei (DP), sind bestens und oftmals familiär in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vernetzt.

Auch im Vorfeld dieser Parlamentswahl kam es zu erneuten Reformen des Wahlsystems. Fast schon eine Tradition, könnte man sagen. Diesmal wurde ein gemischtes Wahlsystem (wieder)eingeführt, nach dem die Sitze per Direktwahl und per Verhältniswahl vergeben werden. Zusätzlich wurde die Anzahl der Sitze massiv erhöht. Im Großen Staatskhural nehmen jetzt 126 statt bisher 76 Abgeordnete Platz, was fast einer Verdoppelung des Parlaments entspricht. Außerdem wurde eine Frauenquote von 30% (wieder-)eingeführt. Zuletzt waren nur 13 der 76 Sitze von Frauen besetzt.

Die jüngsten Reformen sollen für mehr Vielfalt, Gleichberechtigung und Transparenz sorgen. Diskussionen sollen im Parlament stattfinden, nicht auf der Straße. Kritische Stimmen sehen darin nurmehr eine Fortführung der altbekannten Tricks und Kniffe der politischen Elite, um die eigene Macht und ihren Einfluss auch nach der Wahl zu sichern.

Ein Beitrag von Al Jazeera zeigt die Stimmung in der Mongolei vor der Parlamentswahl vom 28. Juni 2024.

Und ausführlicher zur wirtschaftlichen Lage ein Beitrag vom Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Mongolei:

Die Mongolei nach der Parlamentswahl 2024

Diesmal stellten sich mehr als 1300 Kandidatinnen und Kandidaten von 23 Parteien, 2 Koalitionen und Unabhängige zur Wahl, rund 39% davon Frauen. Begleitet wurde die Wahl von 259 Beobachtern aus 40 Ländern und 21 von Organisationen. Die Wahlbeteiligung lag bei 69,4% und fiel höher aus als 2020. Langfristig zeigt sich aber der Trend einer sinkenden Stimmabgabe.

Die 126 Sitze im neuen Parlament (94 Männer, 32 Frauen) verteilen sich wie folgt:

  • Mongolische Volkspartei (MVP) 68 Sitze
  • Demokratischen Partei (DP) 42 Sitze
  • HUN-Partei (Nationale Arbeiterpartei) 8 Sitze
  • Nationale Koalition (Grüne und Nationale Demokratische Partei) 4 Sitze
  • Civil Will-Green Development Party 4 Sitze

Die seit 2016 regierende MVP bleibt weiterhin stärkste Kraft, verlor nach der diesjährigen Wahl jedoch die absolute Mehrheit. Und auch die anderen im neuen Parlament vertreten Parteien fühlen sich wie Gewinner. Die Demokratische Partei konnte ihr Ergebnis im Vergleich zu den Wahlen 2016 und 2020 verbessern und gewann Sitze hinzu. Dank der jüngsten Wahlreform sind mehr Kleinparteien im mongolischen Parlament vertreten als zuvor.

Bündnis „Mut zur raschen Entwicklung“ aus MVP, DP und HUN

Die kommenden vier Jahre wird die MVP in einer informellen Koalition unter dem Motto „Courage for Rapid Development” gemeinsam mit der DP und der HUN („Mensch“) regieren. Die neue Regierung stellt 22 Ministerinnen und Minister, die ihre Arbeit in 16 Ministerien verrichten.

In den ersten 100 Tagen sollen die ersten Reformvorhaben des Dreierbündnisses verabschiedet werden. Zu den Kerninhalten zählen:

  • Reform der Sozialpolitik, Förderung der ländlichen Entwicklung, Korruptionsbekämpfung in der Regierung, Stärkung der Justiz, E-Governance, Weiterentwicklung von Großprojekten und Programmen (MPP)
  • Schutz von Privateigentum, Sicherung des Geschäfts- und Investitionsumfelds, wirtschaftliche Freiheit (DP)
  • Liberalisierung des Energiesektors, Reform des Bildungssektors (HUN)

Der Aktionsplan der neuen Regierung ist Teil der „Vision 2050″ und „New Revival Policy”. Diese beiden langfristigen Strategien sollen das rohstoffreiche Land, in dem über ein Drittel der Bevölkerung in Armut lebt, in eine bessere Zukunft führen. Die „Vision 2050“ wurde bereits 2020 verabschiedet und beinhaltet 9 große Ziele und 50 weitere Vorhaben, die in drei Zehnjahresfristen realisiert werden sollen.

Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung sollen das Land bis 2050 an die Spitze unter den Ländern Asiens bringen.

Das Großprojekt „Power of Siberia 2“ ist übrigens nicht Teil des Aktionsplans 2024-2028. Die 2600 Km lange Gasleitung, die Erdgas von den russischen Feldern durch die Mongolei nach China transportieren würde, sollte nach russischen Angaben bis 2030 fertiggestellt werden. Verhandlungen zwischen Russland, China und der Mongolei haben bisher zu keiner Einigung geführt. Der Baubeginn ist ohne die Beteiligung der Mongolei nicht möglich und die Umsetzung des Projekts bleibt ungewiss.

Nach der Wahl ist vor der Wahl? Oder ist Besserung in Sicht?

Die jüngsten Versprechungen und Ankündigungen sollen in der Theorie die altbekannten Probleme des Landes lösen. In weiten Teilen der Gesellschaft und besonders unter der jungen Bevölkerung dominiert allerdings nicht die Zuversicht, sondern die Enttäuschung über politische Vertreter und deren Aktivitäten zur Selbstbereicherung. Diese sind oftmals bekannt, haben aber eher selten negative Folgen.

Zivilgesellschaftliches Engagement in der Mongolei gleicht einem zarten Pflänzchen, das von Steppe und Wüste umgeben nur langsam gedeiht.

Korruption hingegen ist weit verbreitet und tief verwurzelt. Sie sind das Haupthindernis für eine nachhaltigere Entwicklung und gerechtere Verteilung des Wohlstands in dem an Bodenschätzen reichen Land.

Große Proteste gab es zuletzt Ende 2022, als ein Millionenbetrug um das staatliche Bergbauunternehmen Erdenes Tavan Tolgoi publik wurde. Es kam ans Licht, dass Hunderttausende Tonnen Kohle nach China geschmuggelt wurden. In den mongolischen Statistiken tauchten diese Ausfuhren nicht auf, in den chinesischen aber schon. Dahinter wird ein

millionenschweres Korruptionsnetzwerk aus Bergbaumanagern, Transportunternehmern und Zöllnern mit guten Verbindungen in die Politik vermutet.[taz]

Korruptionsfälle wie diese sind leider zahlreich und korruptes Verhalten ist innerhalb der politischen und wirtschaftlichen Elite gang und gäbe. Korruption hat Tradition. Allen Versprechungen der Regierenden zur Korruptionsbekämpfung zum Trotz fällt die Mongolei seit 2016 in der Rangliste von Transparency International und nimmt aktuell Platz 121 von 180 ein.

Wenig besser steht es um die Pressefreiheit. Im Index von Reporter ohne Grenzen rutschte das Land von Platz 88 im Vorjahr auf Platz 109 von 180 ab.

Hinzu kommen eine anhaltend hohe Inflation, fehlende wie fehlgeleitete wirtschaftliche Entwicklung, soziale Ungleichheit und mangelnde Perspektiven für die Jugend.

Im Superwahljahr 2024 steht die erste Bewährungsprobe für das Dreierbündnis aus MVP, DP und HUN kurz bevor. Nach der Parlamentswahl Ende Juni finden Mitte Oktober in den 21 Provinzen, in den Kommunen und in der Hauptstadt der Mongolei Kommunalwahlen statt.

Das Projekt „Eine Milliarde Bäume“

An Projekten und Vorhaben zur Entwicklung der Wirtschaft und des Landes mangelt in der Mongolei nicht. Persönliche Eindrücke und Erfahrungen des Autors über das letzte Jahrzehnt hinweg lassen allerdings nur ein begrenztes Maß an Optimismus zu. Denn häufig verzögert sich die erfolgreiche Umsetzung eines Vorhabens innerhalb eines Zeitplans, scheitert vollends oder hat keinen Nutzen für die Bevölkerung. In der Hauptstadt Ulaanabaatar beispielsweise sind Betongerüste unfertiger Immobilienprojekte Zeugnisse für Fehlentwicklungen in der Baubranche. Die seit Jahren währende Debatte über den Bau einer U-Bahn Linie, um die chronisch verstopften Verkehrsadern zu entlasten, ist ein weiteres Beispiel.

Wird das Baumprojekt „One Billion Trees“ seine Ziele erreichen können?

Das Projekt wurde im Herbst 2021 auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom Präsidenten der Mongolei ins Leben gerufen. Das Ziel: Bis 2030  insgesamt eine Milliarde Bäume zu pflanzen und dadurch 9% der Landesfläche wieder zu bewalden. Der Verschlechterung der Bodenqualität, der zunehmenden Verwüstung und den Folgen des Klimawandels soll so etwas entgegengesetzt werden.

Inzwischen sind drei Jahre seit der Ankündigungen vergangen. Im Stadtbild der Hauptstadt macht sich das Projekt zaghaft bemerkbar. Auf dem Weg zum neuen Flughafen kann man neben der Fahrbahn dünne Streifen mit jungen Bäumen sehen, die auf engem Raum in Reih und Glied nebeneinander stehen.

Der Berater des Präsidenten in Umweltfragen gab Mitte August ein Interview zum Projekt „Eine Milliarde Bäume“ und den Zielen:

Wir wollen 233 Millionen Bäume pflanzen, um das städtische Ökosystem auszugleichen und die Lebensbedingungen zu verbessern, 330 Millionen Bäume, um die Wüstenbildung zu bekämpfen und die Ursachen von Sand- und Staubstürmen zu verringern, 771 Millionen Bäume, um die Waldzerstörung zu verringern und die Waldflächen zu vergrößern, und 173 Millionen Bäume […] im Einklang mit der nationalen Kampagne „Lebensmittelversorgung und -sicherheit“ […]. Insgesamt planen wir, 1,5 Milliarden Bäume zu pflanzen.

Statt einer Milliarde neue gepflanzter Bäume sollen es bis 2030 sogar 1,5 Milliarden sein. Dafür bleiben noch etwas mehr als sechs Jahre Zeit. Die bisherigen Erfolge der letzten drei Jahre sind überschaubar. Dem Präsidentenberater zufolge sind landesweit bisher 41 Millionen Bäume gepflanzt worden, deren Überlebensquote liege bei 90%.

In den kommenden Jahren bis 2030 müssen also noch mindestens 959 Millionen, bzw. 1,4 Milliarden weitere Bäume gepflanzt werden, um das Ziel zu erreichen. Das Bündnis „Mut zur raschen Entwicklung“ hat nicht nur hier alle Hände voll zu tun, um zur „Vision 2050“ beizutragen.

Mehr Beiträge zur Mongolei

#101 Demokratie in der Mongolei, Krieg in der Ukraine

#88 Mongolei, Russland und der Krieg in der Ukraine

Quellen:

Zitat zu Beginn des Beitrags: Leaders of Three Parties in Parliament Sign Memorandum to Cooperate in 2024-2028, https://montsame.mn/en/read/347476

Asia House: 2024 Mongolia Election Analysis, https://asiahouse.org/research_posts/2024-mongolia-election-analysis/.

GIS: Mongolia strives for a more inclusive democracy, https://www.gisreportsonline.com/r/mongolia-democracy/.

Ikon: https://ikon.mn/elections/2024.

Montsame: Batkhuu Nyam-Osor: Mongolia Will Plant One Billion Trees by 2030 and Increase Forest Cover to 9%, https://montsame.mn/en/read/349409.

Montsame: Joint Government Agreement “Courage for Rapid Development” Signed, https://montsame.mn/en/read/349374.

SouthChinaMorningPost: Future murky for Russia-China pipeline as Mongolia omits project from long-term plan, https://www.scmp.com/economy/china-economy/article/3275022/future-murky-russia-china-pipeline-mongolia-omits-project-long-term-plan.

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