#101 Demokratie in der Mongolei, Krieg in der Ukraine

Proteste in der Mongolei, Bild: Matthias Meyer
Proteste in Ulaanbaatar, Mongolei, Dez. 2022. Eigene Aufnahme

Ich weiß, dass Wladimir Putin keine Freiheit duldet. Ich habe bei vielen Gelegenheiten mit ihm zusammengesessen.[…] Er fürchtet eine freie Ukraine [und] hat sich ausgemalt, dass eine freie, zivile Ukraine eine große Gefahr für sein Regime darstellen könnte.

Elbegdorj Tsakhia, ehem. Präsident der Mongolei, The Diplomat, Feb. 2023

(aktualisiert am 24.01.2024)

Demokratie in der Mongolei, Krieg in der Ukraine

Vor der russischen Botschaft in Ulaanbaatar haben seit Ende Februar 2022 bis zur Veröffentlichung dieses Beitrags 55 Demonstrationen gegen den Krieg in der Ukraine stattgefunden. Die Teilnehmenden demonstrieren gegen das Regime Putin, für Solidarität mit der Ukraine und den ethnischen Minderheiten der Mongolen innerhalb der russischen Föderation.

Ethnische Minderheiten aus den nicht-slawischen und “am stärksten benachteiligten, verarmten Regionen mit geringer Protestaktivität” werden bevorzugt für die “Spezialoperation” eingezogen.[1] Sie dienen als „Kanonenfutter“ für den Angriff auf die Ukraine, weshalb der Vorwurf von „ethnischen Säuberungen“ erhoben wird.[2]

In einer kleinen Galerie im Zentrum der mongolischen Hauptstadt sind von Ende Februar bis Ende März Fotografien dieser Proteste ausgestellt. Die Bilder hängen in zwei Räumen und zeigen Aufnahmen der Anti-Kriegs-Proteste in der Mongolei seit Februar 2022.

Besucher der Ausstellung können Gedanken und Grußworte in ein Gästebuch eintragen.

Friedensbewegung gegen den Krieg in der Ukraine, Mongolei

Auf einem Blatt Papier sind die 141 Länder aufgelistet, die den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine im UN-Sicherheitsrat verurteilten. Die Mongolei hat sich bei den Abstimmungen bisher stets enthalten.

(Bilder: eigene Aufnahmen)

Erbe der Sowjet-Ära prägt das Stadtbild in Ulaanbaatar

Die Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine bleiben ein Jahr nach Ausbruch des Krieges nicht ohne Folgen für manche der Organisatoren und Teilnehmenden. Beim Besuch der kleinen Ausstellung an einem Mittag Ende Februar verlassen gerade zwei uniformierte Polizisten die Galerie und mustern Neuankömmlinge zwischen Tür und Angel mit strengen Blicken.

Ob die Polizei auch an Kunstausstellungen interessiert sei, frage ich. „Sie sind gekommen um zu sehen, dass wir in Sicherheit sind”, sagt einer der beiden Demokratieaktivisten ironisch. Es sei wohl um eine Genehmigung für die Ausstellung gegangen.

Im Lauf des gleichen Tages äußerte sich die russische Botschaft auf einer Pressekonferenz verärgert über eine manipulierte Aufnahme vor dem riesigen Schukow-Denkmal im Osten der Stadt, die in den sozialen Medien kursierte.

Vor dem Denkmal sind eine Handvoll Demonstranten mit Flaggen der Ukraine und der Mongolei in den Händen zu sehen. Der Kopf des Generalstabschefs der Roten Armee, der 1939 die Streitkräfte der mongolischen Kommunisten gegen die Japaner unterstützte, liegt abgetrennt vom Torso auf dem Boden.

Die Botschaftssprecherin beschuldigt die „Provokateure“, mit diesen Falschinformationen die Gefühle der älteren Bevölkerung während des mongolischen Neujahrs verletzt zu haben.[3] Das Denkmal und das angrenzende Areal gehören zum Erbe der Sowjetzeit und haben einen hohen Symbolwert. Anlässlich des 80. Jahrestags der Schlacht von Khalkin Gol besuchte der russische Präsident das Denkmal.

Ein auf dem Twitter-Konto von NoWarMN, den Organisatoren der Anti-Kriegs-Proteste, veröffentlichtes Video zeigt die kleine Gruppe Demonstrierender vor der intakten Schukow-Statue. Wer das manipulierte Bild letzlich erstellt und veröffentlicht hat, ist unklar. Klar ist, der Kampf der Narrative wird auch hier ausgetragen. Die sozialen Medien spielen bei Information wie Desinformation eine große Rolle.

Fragile Demokratie, fragile Zivilgesellschaft

Die Wahrnehmung demokratischer Grundrechte, zu denen das Recht auf Meinungsäußerung und die Teilnahme an friedlichen Demonstrationen zählen, ist in der Mongolei keine in Stein gemeißelte Selbstverständlichkeit.

Berichten zufolge werden zivilgesellschaftliche Akteure zur Kontrolle von Formalitäten von der Polizei einbestellt und befragt. Dieser sogenannte sanfte Druck ist eine Einschüchterungstaktik und auch aus China als „Einladung zum Tee“ / 喝茶 bekannt.

Weitere bekannte Maßnahmen des Staates: Teilnehmende an den Protesten vor der russischen Botschaft sollen unter Hausarrest gestellt worden sein.[4] Vereinzelt kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Putin-Kritikern und mutmaßlichen prorussischen/ ultranationalistischen/regierungsnahen Gruppen, bei denen sich die Ordnungshüter nicht neutral verhalten haben sollen.[5] Nicht als einziger berichtet der Vorsitzende der Mongolischen Demokratischen Union außerdem von „schwarz maskierten Männern”, die sein Haus gestürmt, durchsucht und demoliert hätten. Die Angreifer sollen Teil paramilitärischer Gruppen sein, „hinter denen vermutlich die Regierung stecke”.[6]

Ein weiteres Mittel, legitime Proteste zu diskreditieren und negativ darzustellen ist die Verbreitung des Narrativs, Teilnehmende würden von ausländischen Kräften finanziert. Dieser Vorwurf war auch während der massiven Anti-Korruptionsproteste zu lesen, die Anfang Dezember 2022 begannen und bis Januar 2023 anhielten, bevor sie von der Polizei aufgelöst wurden.[7]

Auf der Nachrichtenseite der chinesischen Suchmaschine Baidu fanden sich zahlreiche Artikel, denen zufolge den Anti-Korruptions-Protesten der Hauch einer “Farbenrevolution” anhafte. Westliche Medien würden die Geschichte zudem aufbauschen und es sei klar, mit welchem Ziel.[8]

Mongolei: Demokratie unter Druck

Die mongolische Demokratie muss sich gegen zahlreiche innere Spannungen und Herausforderungen behaupten. Dazu zählen Korruption, die digitale Transformation und Umweltprobleme. 2022 belegte die Mongolei laut dem Korruptionsindex von Transparency International Platz 116 von 180.[9]

Anfang des Jahres wurde ein umstrittener Gesetzentwurf zum „Schutz der Menschenrechte in den sozialen Medien“ vom Parlament verabschiedet und danach per Veto vom Präsidenten verhindert. Menschenrechtsgruppen, Journalisten und die Digitalwirtschaft kritisieren, das Gesetz sei eine Gefahr für die freie Meinungsäußerung und gebe dem Staat ein Übermaß an unkontrollierter und konzentrierter Macht, Inhalte im Internet zu regulieren.[10]

Die negativen Folgen des Klimawandels sind in der Mongolei längst Realität und haben dramatische Auswirkungen auf das Leben der Menschen, Gesellschaft und Staat (siehe unten).

Hinzu kommen komplexe äußere Einflüsse. Das Land ist bemüht, sich inmitten der beiden großen Nachbarn, Russland im Norden und die Volksrepublik China im Süden, zu positionieren und in einem Balanceakt eigene Interessen durchzusetzen.

Die aktuelle politische Dominanz der Mongolischen Volkspartei (ehemalige Revolutionäre Partei des Mongolischen Volkes zu Zeiten der mongolischen Volksrepublik) und die Schwäche der demokratischen Opposition kann zu einer weiteren politischen, wirtschaftlichen und ideellen Annäherung an die beiden Nachbarn führen. Eine Intensivierung der Beziehungen vor allem zu China findet bereits statt.

Haltung zu Russland auch ein Generationenkonflikt

Dies löst in Teilen der Bevölkerung Befürchtungen aus, das Land könnte in eine zu große Abhängigkeit der Großmächte geraten und einen Verlust der demokratischen Freiheiten und der eigenen Identität mit sich bringen. Die Proteste der Zivilgesellschaft gegen den Ukrainekrieg, gegen Korruption und gegen die staatliche Kontrolle des digitalen Raums sind auch Ausdruck dieser Ängste und des Bedürfnisses auf Selbstbestimmung.

Hierbei kommt auch ein Konflikt der Generationen zum Vorschein. Die junge Generation orientiert sich mehrheitlich an westlichen Vorbildern wie den USA, Südkorea, teils auch an China, während eine positive Einstellung zu Russland eher unter der älteren Bevölkerung vorhanden ist.

Nicht zuletzt findet der Konflikt “Demokratie versus Autokratie” auch in der Mongolei statt, ist sowohl historisch als auch gegenwärtig und weist Ähnlichkeiten mit der Ukraine auf. Beide Staaten haben eine noch heute präsente Sowjet-Vergangenheit; beide sind Bausteine im großen Spiel der geopolitischen Blockbildungen des 21. Jahrhunderts.

Klimawandel in der Mongolei – aus Die Woche im Sinoskop (KW51/22)

In Ulaanbaatar erlebt man zwischen -20 und -30 Grad hautnah, weshalb die beiden großen Umweltkonferenzen dieses Jahres (COP27 in Sharm el-Sheikh und COP15 in Montréal) von so großer Bedeutung sind. In der Mongolei macht sich der menschengemachte Klimawandel durch Wetterextreme, wie beispielsweise Dürre oder Hitze- und Kältewellen, heute schon besonders bemerkbar.

Ulaanbaatar ist nicht nur die kälteste Hauptstadt der Welt, sondern sie zählt auch zu jenen mit der größten Luftverschmutzung. Besonders im Winter erreicht die Belastung mit Feinstaub wie PM2.5 regelmäßig gesundheitsgefährdende Werte im obersten Bereich der Skala. Heute, und nicht nur heute, lag der Wert zeitweise bei über 300, Stufe 6 von 7: “Sehr ungesund”. Ursache der schlechten Luft ist die Verbrennung fossiler Rohstoffe. Zum einen wird Kohle zum Heizen und zur Energieerzeugung verbannt. Zum anderen verpesten die Verbrennungsmotoren des Individualverkehrs die Luft mit Abgasen.

Etwa 40% der Einwohner der Hauptstadt sind ehemalige Nomaden, die ihre Lebensgrundlage verloren haben. Gründe für den Verlust der ursprünglichen Lebensweise können menschengemacht sein, Stichwort wirtschaftliche Entwicklung, aufgrund einer Naturkatastrophe namens “Dzud”, oder wegen klimatischer Veränderungen. Viele von ihnen haben ihre Jurten dauerhaft in einem der Armutsviertel am Stadtrand aufgeschlagen.

Wie im Brennglas zeigen sich in der Mongolei die Auswirkungen einer auf kurzfristigen Profit und Raubbau ausgerichteten Wirtschaftsweise, und die Herausforderungen und Probleme eines Entwicklungslandes hin zur ökologischen Transformation. Dabei bleibt dem Land zur weiteren “Schadensbegrenzung” noch weniger Zeit als anderen Teilen der Welt.

Das im Pariser Klimaschutzabkommen anvisierte Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist in der Mongolei schon heute ein unerreichbares, wie die Grafik der Woche zeigt. Die Erwärmung beträgt dort bereits bei über 2 Grad. Laut dem jüngsten Länderbericht der Weltbank zu den Klimarisiken droht bis zum Ende des Jahrhunderts eine Erwärmung von 5 Grad oder mehr. Ein ähnlich extremes Szenario gilt übrigens auch für die Volksrepublik China.

Grafik der Woche 

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Der Trend ist eindeutig. In den letzten 120 Jahren hat sich die Durchschnittstemperatur in der mongolischen Hauptstadt sichtbar erhöht.

  • 1901: -2,99 Grad, 1961: -2,2 Grad, 2021: -0,39 Grad.

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Noch deutlicher wird es, betrachtet man die Mongolei als Ganzes.

  • 1901: -0,53 Grad, 1961: -0,16 Grad, 2021: -2,07 Grad.

(Quelle: Weltbank, climateknowledgeportal)

Mehr zur Demokratie in der Mongolei und dem Krieg in der Ukraine:

#88 Mongolei, Russland und der Krieg in der Ukraine

#88 Mongolei, Russland und der Krieg in der Ukraine

Doku über das Leben einer Nomadenfamilie in der Wüste Gobi:

 


Quellen:

[1] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ukraine-krieg-russland-verfeuert-seine-nationalen-minderheiten-18712658.html

[2] https://thediplomat.com/2023/02/why-asia-and-the-world-must-stand-with-ukraine/

[3] https://sonin.mn/news/peconomy/136211

[4] https://asia.nikkei.com/Opinion/Mongolia-needs-to-be-reconnected-to-the-outside-world

[5] https://blogs.ubc.ca/mongolia/2022/mongolia-russias-invasion-of-ukraine/

[6]https://www.nzz.ch/international/die-mongolei-praktiziert-die-sinnvolle-neutralitaet-ld.1714940

[7] https://taz.de/Jugend-protestiert-in-Mongolei/!5901928/

[8] https://mbd.baidu.com/newspage/data/landingsuper?context=%7B%22nid%22%3A%22news_9725955498985664777%22%7D&n_type=1&p_from=4

[9] https://www.transparency.org/en/countries/mongolia

[10] https://news.mn/en/798696/

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