#37 “Xi Jinping-Gedanken über den Sozialismus chinesischer Prägung für eine neue Ära”

Xi Jinping-Gedanken

Benehmt euch nicht, als gäbe es nur euch! Es gibt unter anderem […] Chinesen, die gerade erst die Ärmel aufgekrempelt haben. Wenn wir nicht alles tun, um in der Spitzengruppe der geistigen und technischen Entwicklung mitzuhalten, werden sie mit ihren Waren die Welt überschwemmen, wird Europa zu einem Anhängsel Asiens werden.

“China nach dem Sturm”, Klaus Mehnert, 1971

Inhalt (aktualisiert am 11.03.23)

Xi Jinping-Gedanken über den Sozialismus chinesischer Prägung für eine neue Ära

Die weise Großmacht

Kommentar

“Xi Jinping-Gedanken über den Sozialismus chinesischer Prägung für eine neue Ära”

2017 war ein wichtiges Jahr für Xi Jinping, den „Kern-Anführer“ der kommunistischen Partei Chinas. Auf dem 19. Parteikongress wurde das „Xi Jinping-Gedankengut“ in die chinesische Verfassung aufgenommen. Anfang 2018 wurde beschlossen, die Amtszeitbeschränkung für Herrn Xi aufzuheben. Damit endet die seit Anfang der 1980er Jahre eingeführte Praxis, die Amtszeit des Präsidenten auf maximal zehn Jahre zu begrenzen. Herr Xi kann theoretisch wie Mao Zedong bis zum Lebensende regieren. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Auf dem Nationalen Volkskongress im März 2023 stimmten 2952 von 2952 der Delegierten für Xi Jinpings dritte Amtszeit.

Als Staatspräsident, Generalsekretär des Zentralkomitees und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission hält Xi Jinping die geballte Staatsmacht seit Jahren in seinen Händen. Diese Macht setzt er für die Verwirklichung des „China Traums“ ein, dem Wiederaufblühen der Nation.
Zwei strategische Jahrhundertziele sind die Eckpfeiler dieses Traums:

  • Bis 2020 eine „Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand“ (= mittleres Einkommen) errichten (rechtzeitig zum 100-jährigen Gründungsjubiläum der KPCh 2021)
  • Bis 2049 führende Weltmacht sein; ein modernes sozialistisches Land, „wohlhabend, stark, demokratisch, zivilisiert und harmonisch“ (zum 100-jährigen Gründungsjubiläum der Volksrepublik)

Chinas Erfolgsrezept: Xi Jinping-Gedanken zur Diplomatie

Dieses Wiedererstarken Chinas hat bekanntlich Auswirkungen auf den Rest der Welt. Einblicke in die Weltsicht der Parteiführung gewährt das Partei-Journal „Qiushi.“ In der Frühjahrsausgabe 2019 findet sich ein Text von Außenminister Wang Yi. Der Artikel ist in zwei Abschnitte unterteilt und beschreibt die zukünftige Marschrichtung der Nation, bereits erreichte Erfolge und bevorstehende Herausforderungen im 21. Jahrhundert. Nachfolgend einige der Kerninhalte des Artikels von Wang Yi.

Nach vierzig Jahren Reform und Öffnungspolitik blieben sich Partei und Volk weiterhin der Öffnung und Reform treu, heißt es. Auf der Zielgeraden zu den beiden Jahrhundertzielen sind laut Außenminister Wang die „Xi Jinping-Gedanken zur Diplomatie“ der Garant des Erfolgs:

“This is one of the most major advances in foreign diplomacy theory since the founding of the People’s Republic of China and is of epoch-making significance; it charts a course for China’s major-country diplomacy in the new era and provides us with a fundamental guideline.”

(Dies ist einer der größten Fortschritte in der Theorie der ausländischen Diplomatie seit der Gründung der Volksrepublik China und von epochaler Bedeutung; sie geben den Kurs für die chinesische Diplomatie einer großen Nation in der neuen Ära vor und liefert uns eine grundlegende Leitlinie.)

China etabliert sich als Ausrichter internationaler Treffen

Der erste Teil des Textes von Wang Yi hebt die Errungenschaften des vergangenen Jahres hervor. Vier von Peking initiierte diplomatische Treffen auf höchster Ebene fanden 2018 in China statt:

  • Das Boao Forum for Asia (BFA), wo China sich als Großmacht präsentiert und gemeinsam mit anderen für ein besseres Morgen kämpft.
  • Das Treffen der Shanghai Cooperation Organization (SCO) und dem „Shanghai Spirit“ zum Aufbau einer besseren Zukunft für die Schicksalsgemeinschaft der Menschheit
  • Das Forum on China-Africa Cooperation (FOCAC), ein „historischer Meilenstein“ der Zusammenarbeit zwischen China und Afrika und der „Solidarität, Kooperation und gemeinsamen Entwicklung.“
  • Die China International Import Expo (CIIE). Mit Teilnehmern aus 172 Staaten ein klares Bekenntnis Chinas, den Freihandel zu schützen und „das aufrichtige Anliegen, die eigenen Märkte weiter zu öffnen und das eigene Entwicklungspotential mit anderen zu teilen.“

“As vibrant real-world actions toward jointly building a community with a shared future for humanity, these events displayed the great forward momentum of China’s major-country diplomacy in the new era.”

(Als lebendige Aktionen aus der Praxis zum gemeinsamen Aufbau einer Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft für die Menschheit zeigten diese Ereignisse die große Dynamik der chinesischen Diplomatie einer großen Nation in der neuen Ära.)

Xis China: Die weise Großmacht

Auch die Seidenstraße ist Teil der Erfolgsgeschichte der „Xi Jinping-Gedanken zur Diplomatie.“ Inzwischen nehmen fast 170 Staaten an der Belt-and-Road-Initiative teil.


Siehe dazu auch #19 Neues von der Seidenstraße oder
#15 EU und die neue Seidenstraße
.


Die Aufnahme des Projekts in internationalen Dokumenten (SCO, FOCAC, UN, EU), sowie weltweite Meilenstein-Projekte in der Infrastruktur werden als weitere Erfolge chinesischen Strebens hervorgehoben.

Russland und China hätten den Weltfrieden voran gebracht, erfährt man weiter. Überhaupt sei die chinesische Nachbarschaftsdiplomatie ein voller Erfolg: Von Indien bis Japan, über Zentralasien zu den Philippinen, überall wimmelt es regelrecht von Win-win Situationen. Auch habe man Regeln für den Umgang im Südchinesischen Meer etabliert. Nicht zuletzt war 2018 das Jahr der Süd-Süd Kooperation und China habe „eine neue Ebene“ mit den meisten Entwicklungsländern erreicht.

China als Garant der Stabilität in einer sehr instabilen Welt

“These actions demonstrate that China is a responsible major country able to shoulder heavy burdens and instill positive energy into a highly uncertain global environment.”

(Diese Maßnahmen zeigen, dass China eine verantwortungsbewusste große Nation ist und in der Lage, schwere Lasten zu tragen und positive Energie in ein sehr unsicheres globales Umfeld zu bringen.)

Chinas Rolle als weltweiter Brandherdlöscher und Friedensstifter sei der beste Beleg für das Verantwortungsbewusstsein der Volksrepublik. Ob in Nordkorea, Iran, Bangladesch, Afghanistan, Nord-Myanmar, Syrien oder Palästina; allerorts würden große Anstrengungen für den Weltfrieden und für Gerechtigkeit unternommen.

Xi Jinping-Gedanken: 2019 ein neues Kapitel für Chinas Diplomatie

Auf diesen Erfolgen wolle man auch 2019 und darüber hinaus mit Hilfe der Xi Jinping-Gedanken zur Diplomatie“ aufbauen, heißt es im zweiten Teil des Artikels.

Sei es das zweite Belt and Road Forum for International Cooperation, Chinas Netzwerk der globalen Partnerschaften, das Engagement für Weltfrieden und Stabilität, eine aktivere Rolle in der Weltordnungspolitik, und schließlich ein verstärkter Fokus auf die heimische Agenda der Reform und Entwicklung – China prescht voran. Die „Xi Jinping-Gedanken zur Diplomatie“ dienen als ideologisches Gerüst für Chinas Aufstieg zur Weltmacht. China werde sich „intensiv an der Weltordnungspolitik beteiligen und diese anführen“. 

Unterstützt wird die Agenda der Xiplomatie von Parteimedien wie der Global Times, die immer öfter und unverhohlen das chinesische System nicht nur als Alternative anpreist, sondern als eines dem westlichen überlegenen. Der Westen müsse sich einfach daran gewöhnen und mit der Tatsache abfinden, dass China zukünftig die Standards setze. Im asiatischen Jahrhundert sei Anpassung gefragt, so der Tenor.

Mitte Juli 2019 waren die „Xi Jinping-Gedanken zur Diplomatie“ Kernthema eines Symposiums in Peking. Einer der Parteifunktionäre erklärt dem Parteiblatt die Diplomatie der „neuen Ära“:

We used to be modest when dealing with international affairs, but we started to engage in deeper participation in global governance and lead the reform of globalization […] due to our strength and actual need.”

(Wir waren früher bescheiden im Umgang mit internationalen Angelegenheiten, aber wir begannen, uns stärker an der Weltordnungspolitik zu beteiligen und die Reform der Globalisierung anzuführen […], aufrund unserer Stärke und tatsächlicher Bedürfnisse.)

Kommentar zu den “Xi Jinping-Gedanken über den Sozialismus chinesischer Prägung für eine neue Ära”

China war ein Spätzünder der Industrialisierung und hat in vier Jahrzehnten den Sprung an die wirtschaftliche Weltspitze vollzogen. Die KP Chinas hat den Lebensstandard Hunderter Millionen Chinesen verbessert. Eine äußerst beachtliche Leistung. Gleichzeitig hat das Reich der Mitte über Jahrzehnte die weltweite Zusammenarbeit ausgebaut und strategische Partnerschaften geknüpft.

Im “Sozialismus chinesischer Prägung für eine neue Ära” unter dem neuen „Kern-Anführer“ Xi Jinping gilt Deng Xiaopings damalige Maxime „die eigenen Fähigkeiten verstecken und Zeit gewinnen“ nicht mehr viel.

Unter Präsident Xi hat China die leisen Schritte der Diplomatie sowie eine zurückhaltende Außenpolitik aufgegeben. Jetzt beansprucht das Land erstmals in seiner langen Geschichte eine globale Führungsrolle über die des Hegemons in Asien hinaus. Dies entspricht dem neuen Selbstverständnis der alten Großmacht unter des „Kerns“ Führung.

Der Erfolg der KP Chinas mit ihrem Alternativmodell liegt aber auch in jahrzehntelangen Versäumnissen westlicher Demokratien. Die Liste ist lang und reicht von gescheiterter Entwicklungshilfe, z.B. in Afrika, über leere Versprechungen und enttäuschten Hoffnungen auf dem Balkan. Nicht zuletzt schuf die Finanzkrise 2008 ein internationales Machtvakuum, welches China seither geschickt auszufüllen weiß.

Da wirkt es schon etwas seltsam, wenn Wirtschaft und Politik hierzulande mit Überraschung oder sogar Panik auf Chinas jüngste Entwicklung reagieren. Man könnte es auch als weiteren Beleg für das geschickte Vorgehen seitens der chinesischen Führung anerkennen.

China macht es mit seinen Jahrhundertzielen vor. Wir Europäer sollten ebenso eigene langfristige Strategien entwickeln, um den Herausforderungen der Zeit gerecht zu werden. Dabei geht es nicht nur um wirtschaftliche Interessen, sondern auch um hierzulande lieb gewonnene individuelle Grundrechte und Freiheiten.

Mehr dazu:

#102 China und die “wahre” Demokratie unter Xi Jinping

QIUSHI: Wang Yi, 以习近平外交思想为引领 不断开创中国特色大国外交新局面

GT: Xi Jinping Thought on Diplomacy a guideline for China’s diplomatic work in the new era: IDCPC Minister, https://www.globaltimes.cn/page/201907/1157842.shtml

SZ(€): Schaut auf dieses Land

WELT: Meinung zum Showdown der Ideologien

NYT: Meinung zum Umgang mit China


Beitragsbild: “more maos 011” by super.heavy is licensed under CC BY-NC-ND 2.0

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